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Zum Thema Arbeitsrecht
- Beschäftigungsverhältnis beendet: Auch ein Schwerbehindertenvertreter kann Renteneintritt nicht einfach nach hinten verlegen
- Entfristung des Beschäftigungsverhältnisses: Gefälligkeitsschreiben wandelt Arbeitsverhältnis nicht in unbefristete Anstellung um
- Hypothetische Karriereentwicklung: Wenn der Betriebsrat Anspruch auf eine höhere Vergütung hat
- Kündigung Schwerbehinderter: Ohne notwendige Zustimmung des Integrationsamts verlängert sich Klagefrist
- Unwirksame Kündigung: Bedrohungslage sollte als solche gemeint und auch als solche aufgefasst werden
Was passiert eigentlich, wenn der Schwerbehindertenvertreter im Betrieb in Rente geht? Dann ist er sein Amt los. Kann er womöglich die Verlängerung des Arbeitsverhältnisses verlangen? Das Hamburgische Oberverwaltungsgericht (OVG) hat hier einen klaren Standpunkt vertreten: Nein, kann er nicht. Lesen Sie hier, warum.
Das Arbeitsverhältnis eines Schwerbehindertenvertreters der Freien und Hansestadt Hamburg sollte mit Erreichen des Pensionsalters enden. Der Mann wollte jedoch sein Amt fortführen, was jedoch nur möglich sei, wenn auch sein Beamten- oder Arbeitsverhältnis weiterliefe. Und genau dies hat der Mann in diesem Fall versucht, auf dem Gerichtsweg zu erreichen; er wollte seine berufliche Auszeit hinauszögern. Sein Hauptargument dabei war, dass auch sein Vertreter seinen Rücktritt angekündigt habe.
Das OVG hat den Antrag auf Verlängerung des Beschäftigungsverhältnisses jedoch abgewiesen. Das Interesse an der Weiterführung eines Amts einer gewählten Interessenvertretung ist von vornherein nicht geeignet, ein dienstliches Interesse für das Hinausschieben des Ruhestands zu begründen. Die Interessenvertretung nimmt ihre gesetzlichen Aufgaben unabhängig wahr und entscheidet, wie sie ihre Aufgaben sinnvoll, notwendig und effizient erfüllen. Bei der Vertretung der Interessen schwerbehinderter Beschäftigter handelt es sich um ein Wahlamt, das nur für bestimmte Zeiträume übertragen wird.
Hinweis: Ein Interessenvertreter schwerbehinderter Menschen hat zur Weiterführung dieses Amts also keinen Anspruch auf Hinausschieben seines Ruhestands. Gleiches wird auch für den Betriebs- oder Personalrat gelten.
Quelle: Hamburgisches OVG, Beschl. v. 23.11.2023 - 20 E 4656/23
zum Thema: | Arbeitsrecht |
(aus: Ausgabe 04/2024)
Befristete Arbeitsverhältnisse sind für Arbeitgeber von großem Vorteil - zumindest, wenn sie sämtliche formelle Voraussetzungen erfüllen. Dass Arbeitnehmer ihrerseits hier und da auch mal einige Kniffe anzuwenden versuchen, um aus einem befristeten fix ein unbefristetes Arbeitsverhältnis zu machen, zeigt dieser Fall des Arbeitsgerichts Bremen (ArbG).
Ein angestellter Lehrer war als Lehrkraft bei einer privaten Schule angestellt. Sein Arbeitsvertrag war auf 23 Monate befristet und sollte im Juli 2023 enden. Im Februar 2023 wendete sich der Arbeitnehmer an den Arbeitgeber mit der Bitte um eine Bescheinigung über den Bestand des Arbeitsverhältnisses. Sein Verlangen begründete er damit, dass er die entsprechende Bescheinigung benötige, um sie einer Behörde vorzulegen. Der Arbeitgeber stellte dem Lehrer eine Arbeitsbescheinigung aus, aus der ersichtlich sei, dass sich dieser in einem befristeten Arbeitsverhältnis befand. Das reichte dem Arbeitnehmer jedoch nicht, denn danach bat er seinen Arbeitgeber, ihm eine Bescheinigung über ein unbefristetes Arbeitsverhältnis auszustellen. Auch diese Bescheinigung erteilte der Arbeitgeber. Man ahnt - das war unklug. Und tatsächlich: Der Arbeitnehmer nahm die zweite Bescheinigung zum Anlass, sich darauf zu berufen, dass der Arbeitgeber das Arbeitsverhältnis entfristet habe, und klagte. Dem hielt der Arbeitgeber entgegen, dass er die Bescheinigung aus reiner Freundlichkeit bzw. Gefälligkeit ausgestellt habe.
Und auch das ArbG entschied, dass das Beschäftigungsverhältnis mit der Befristung endete und nicht fortbestand. Aus der Arbeitsbescheinigung, die dem Arbeitnehmer erteilt wurde, und den Umständen des Zustandekommens war nicht davon auszugehen, dass der Arbeitgeber sich dadurch mit dem Mitarbeiter auf einen unbefristeten Arbeitsvertrag einigen wollte.
Hinweis: Passieren bei der Befristungsabrede Fehler, ist die Befristung oftmals unwirksam und ein unbefristeter Vertrag entstanden. Dann muss der Vertrag erst gekündigt werden, und der Arbeitnehmer kann sich gegen eine solche Kündigung wehren.
Quelle: ArbG Bremen, Urt. v. 14.12.2023 - 8 Ca 8266/23
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(aus: Ausgabe 04/2024)
Für Arbeitgeber ist es nicht immer leicht, die richtige Vergütungshöhe für Betriebsratsmitglieder zu finden. Den Ausschlag, einem Betriebsratsmitglied hier die begehrte Eingruppierung zuzusprechen, gab in Augen des Landesarbeitsgerichts Niedersachsen (LAG) die Überlegung, welche Verdienstmöglichkeiten der Kläger hätte erreichen können, hätte er sich ausschließlich der eigenen Karriere gewidmet.
Der Arbeitgeber hatte die Vergütung eines freigestellten Betriebsratsmitglieds reduziert, nachdem der Bundesgerichtshof eine entsprechende Entscheidung in einem strafrechtlichen Untreueverfahren ranghoher Führungskräfte des Unternehmens getroffen hatte. Für die Monate Oktober 2022 bis Januar 2023 sollte der Betriebsrat jeweils gut 500 EUR monatlich weniger erhalten. Der Arbeitgeber forderte die entsprechende Differenz daher auch von ihm zurück und bezahlte ihn seitdem nach der niedrigeren Eingruppierung. Ein Arbeitnehmer zahlte den entsprechenden Betrag zwar auch unter Vorbehalt zurück, zog daraufhin jedoch vor Gericht. Dort verlangte er einerseits die von ihm gezahlte Vergütungsdifferenz zurück und begehrte zudem die Feststellung, dass der Arbeitgeber weiterhin verpflichtet sei, ihm monatlich ein Gehalt entsprechend der zuvor geleisteten - höheren -Eingruppierung zu zahlen.
Das LAG entschied, dass der Beschäftigte durchaus Anspruch auf die höhere Vergütung hatte. Das begründete das Gericht damit, dass der Arbeitnehmer die Voraussetzungen für eine hypothetische Karriereentwicklung dargelegt hatte. Und eben diese Darlegung habe der Arbeitgeber nicht ausreichend bestritten. Es sei deshalb davon auszugehen, dass der Beschäftigte ohne die Tätigkeit im Betriebsrat die höhere Entgeltgruppe bereits erreicht hätte.
Hinweis: Unter Umständen muss in dieser Sache noch das Bundesarbeitsgericht entscheiden. Jedenfalls kann ein freigestellter Betriebsrat grundsätzlich die gleiche Vergütung verlangen, wie andere nicht freigestellte Kollegen im Betrieb.
Quelle: LAG Niedersachsen, Urt. v. 08.02.2024 - 6 Sa 559/23
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(aus: Ausgabe 04/2024)
Die Kündigung schwerbehinderter Arbeitnehmer ist immer wieder Anlass für gerichtliche Auseinandersetzungen. Dass in der Regel vor einer derartigen Kündigungskonstellation die Zustimmung des Integrationsamts einzuholen ist, war dem Arbeitgeber im Fall des Arbeitsgerichts Iserlohn (ArbG) womöglich bekannt. Dass ein diesbezügliches Versäumnis sich aber auf den Fristablauf einer Kündigungsschutzklage auswirkt, mutmaßlich eher nicht.
Der Arbeitgeber hatte einem schwerbehinderten Arbeitnehmer gekündigt. Der Beschäftigte hatte sich daraufhin mit einer Kündigungsschutzklage gegen die Kündigung gewehrt. Diese wollte der Arbeitgeber jedoch nicht gelten lassen und vertrat den Standpunkt, dass sie verspätet eingereicht worden sei. Der Arbeitgeber hatte allerdings nicht die notwendige Zustimmung des Integrationsamts eingeholt. Diese wäre jedoch nach § 168 Sozialgesetzbuch IX erforderlich gewesen. Der Arbeitnehmer argumentierte, dass deshalb nicht nur die Kündigung unwirksam sei, sondern auch die Frist für die Kündigungsschutzklage nicht begonnen habe. Deshalb sei die Kündigungsschutzklage noch rechtzeitig erhoben worden.
Das ArbG entschied, dass der Arbeitnehmer seine Kündigungsschutzklage nicht nur rechtzeitig eingereicht habe, sondern damit auch noch erfolgreich war: Das Gericht erklärte die Kündigung für unwirksam. Die dreiwöchige Klagefrist beginnt nämlich erst mit Bekanntgabe der behördlichen Entscheidung an den Arbeitnehmer (§ 4 Kündigungsschutzgesetz (KSchG)). Diese Bekanntgabe gab es jedoch nicht, da es den Antrag auf Zustimmung schon gar nicht gab. Und genau deshalb sei die Klagefrist logischerweise auch nicht verstrichen. Das ArbG wies im Zusammenhang mit der Entscheidung aber auch darauf hin, dass sich Beschäftigte nicht unbegrenzt Zeit lassen dürfen. Schließlich verwirke das Klagerecht irgendwann. Nach § 5 KSchG können Gekündigte zwar die Zulassung einer verspäteten Klage beantragen, wenn sie zum Beispiel wegen Krankheit an einer rechtzeitigen Klage gehindert waren. Ein solcher Antrag sei allerdings nur innerhalb von sechs Monaten ab Ablauf der Dreiwochenfrist möglich. Und eben diese Sechsmonatsfrist gelte ebenso für die Verwirkung.
Hinweis: Ohne Zustimmung des Integrationsamts darf ein Arbeitgeber nur kündigen, wenn das Beschäftigungsverhältnis noch keine sechs Monate existiert oder der schwerbehinderte Arbeitnehmer das 58. Lebensjahr vollendet und Anspruch auf eine Sozialplanabfindung hat.
Quelle: ArbG Iserlohn, Urt. v. 24.10.2023 - 4 Ca 675/23
zum Thema: | Arbeitsrecht |
(aus: Ausgabe 04/2024)
Wer am Arbeitsplatz jemandem droht, muss mit Konsequenzen rechnen. Die Frage, ob eine solche Situation jedoch unbeabsichtigt oder eben gewollt entsteht, ist dafür entscheidend. Dieser Fall, der vor dem Landesarbeitsgericht Schleswig-Holstein (LAG) landete, macht deutlich, wie schwierig solche Kündigungssachverhalte arbeitsrechtlich zu erfassen sein können.
Ein Arbeitnehmer wurde gemeinsam mit einer Kollegin an einem Probierstand eingesetzt. Dabei kam es zu einer Situation, in der sich die Frau von dem Mann dadurch bedroht fühlte, als dieser ihr mit einem 20 cm langen Fischfiletiermesser in der Hand auf Höhe ihres Halses zu nahe kam. Die Arbeitnehmerin beschwerte sich beim Arbeitgeber über das Verhalten des Kollegen - und dieser nahm das zum Anlass, dem Arbeitnehmer nach einer entsprechenden Anhörung des Betriebsrats fristlos und hilfsweise ordentlich zu kündigen. Dabei begründete er die Kündigung allerdings nicht mit einem strafrechtlich relevanten Verhalten seines Arbeitnehmers, sondern stützte sich vielmehr auf eine arbeitsrechtliche Pflichtverletzung.
Das LAG stellte klar, dass eine ernst gemeinte Drohung selbstverständlich ein wichtiger Grund für eine außerordentliche fristlose Kündigung sein könne. Das Gericht entschied hier jedoch, dass die Kündigung unwirksam sei. Das begründete das Gericht damit, dass der Arbeitnehmer seiner Kollegin hier nicht ernsthaft gedroht hatte. So sprach auch die Beweisaufnahme dafür, dass weder der Arbeitnehmer den Willen hatte, seine Kollegin zu bedrohen, noch dass diese die Drohung (zuerst) als ernst gemeint aufgefasst habe. Gegen die Ernsthaftigkeit der Drohung sprach dabei, dass die Kollegin Zeugenaussagen zufolge nach dem Vorfall gelacht und sich erst viel später hilfesuchend an den Betriebsrat gewendet habe. Das LAG sah es hier daher als möglich an, dass sich der Mann mit dem Messer in der rechten Hand mit dem Oberkörper zur Kollegin gedreht habe und bei dieser Drehbewegung seine rechte Hand mit dem Messer nahe an ihren Hals gelangt sei. Unangenehm und nicht unriskant - aber eben kein Kündigungsgrund.
Hinweis: Wer Kollegen ernsthaft bedroht, sollte sofort eine Kündigung erhalten. Es muss sich dabei aber eben auch um eine wirklich ernsthafte Bedrohung handeln.
Quelle: LAG Schleswig-Holstein, Urt. v. 13.07.2023 - 5 Sa 5/23
zum Thema: | Arbeitsrecht |
(aus: Ausgabe 04/2024)
Zum Thema Erbrecht
- Nachlasspflegschaft unerlässlich: Wenn der Erbe in einer Gesellschafterversammlung unbekannt ist
- Neuverheiratung unerheblich: Wechselbezügliche Verfügungen zugunsten "unserer Patenkinder" bindend
- OLG reduziert Vergütung: Keine nachträgliche Feststellung einer berufsmäßig ausgeübten Nachlasspflegschaft
- Staatsangehörigkeit entscheidet: Internationale Zuständigkeit deutscher Nachlassgerichte bei Aufenthaltsort Kolumbien
- Streitwert bei Wertermittlungsanspruch: OLG stellt auf realistische wirtschaftliche Erwartungen des Klägers zu Verfahrensbeginn ab
Gesellschafter treffen Entscheidungen auf der Basis eines Gesellschaftsvertrags und abhängig von den dort aufgestellten Regularien. Was aber passiert, wenn ein Gesellschafter verstirbt, der vertretungsberechtigter Geschäftsführer war und dessen Erben unbekannt sind, war Gegenstand einer Entscheidung des Brandenburgischen Oberlandesgerichts (OLG).
Der 2023 verstorbene Erblasser war zusammen mit einer weiteren Person Gesellschafter einer Zweipersonengesellschaft. Zugleich war er als alleinvertretungsberechtigter Geschäftsführer der Gesellschaft bestellt. Nach dem Tod des Erblassers, der keine bekannten Erben hinterließ, beschloss die verbliebene Gesellschafterin, dass sie zur alleinvertretungsberechtigten Geschäftsführerin bestellt werde. Zugleich beantragte sie die Löschung des Erblassers aus dem Handelsregister. Das Registergericht hat im Wege einer sogenannten Zwischenverfügung angeordnet, dass die Gesellschafterin eine Nachlasspflegschaft beantragen solle und ein Nachlasspfleger zur Versammlung zu laden sei, da Erben unbekannt waren und das Teilnahmerecht an einer Gesellschafterversammlung nicht entzogen werden könne. Gegen diese Entscheidung des Registergerichts legte die Geschäftsführerin Beschwerde ein.
Diese Beschwerde war auch insoweit erfolgreich, als das Registergericht nicht durch eine Zwischenverfügung entscheiden konnte - die Verfügung wurde aufgehoben. Allerdings waren die Mängel in der Beschlussfassung der Gesellschaft erheblich und konnten nachträglich nicht geheilt werden. Aufgrund der unklaren Erbfolge hätte eine Nachlasspflegschaft angeordnet werden müssen. Die Nichtladung eines Gesellschafters stellt einen Einberufungsmangel der Gesellschafterversammlung dar, der zur Nichtigkeit der in der Versammlung gefassten Beschlüsse führt. Die Gesellschaft muss daher zunächst eine Nachlasspflegschaft einrichten lassen und den Nachlasspfleger zur Wahrung der Gesellschafterrechte zu einer weiteren Gesellschafterversammlung einladen.
Hinweis: Bis zur Annahme der Erbschaft hat das Nachlassgericht für eine Sicherung des Nachlasses zu sorgen, soweit hierfür ein Bedarf besteht. Zu diesem Zweck kann ein Nachlasspfleger bestellt werden.
Quelle: Brandenburgisches OLG, Beschl. v. 02.01.2024 - 7 W 66/23
zum Thema: | Erbrecht |
(aus: Ausgabe 04/2024)
Sind Verfügungen von Ehegatten in einem Testament wechselbezüglich, können sie nach dem Tod des Erstversterbenden grundsätzlich nicht nachträglich abgeändert werden. Das Oberlandesgericht München (OLG) war im Folgenden dennoch mit der Auslegung einer solchen Verfügung betraut, da es sich der Erblasser nach dem Tod seiner ersten Gattin doch noch einmal anders überlegt hatte.
Der Erblasser war seit dem Jahr 2020 in zweiter Ehe verheiratet und hatte keine eigenen Kinder. Der Neffe seiner verstorbenen ersten Ehefrau und die Enkelin seines Bruders - die beide Patenkinder der Eheleute waren - waren einst im gemeinschaftlichen notariellen Testament des Erblassers mit seiner ersten Frau aus dem Jahr 2001 als Schlusserben eingesetzt worden. Nach dem Tod des Längstlebenden sollten sie zu gleichen Teilen erben. Darüber hinaus enthielt das Testament eine Ersatzschlusserbeneinsetzung zugunsten der zu diesem Zeitpunkt lebenden Geschwister der Schlusserben. Später änderte der Erblasser diese Regelung jedoch zugunsten seiner zweiten Ehefrau. Drei handschriftliche Testamente, die von der zweiten Ehefrau geschrieben und vom Verstorbenen unterschrieben wurden, setzten sie offensichtlich als Alleinerbin ein. Als der Neffe gemeinsam mit der Enkelin des Erblassers nach dessen Tod einen Erbschein beantragte, erhob die Witwe des Erblassers dagegen erwartungsgemäß Einwendungen.
Das Nachlassgericht gab dem Antrag des Neffen dennoch statt, da das gemeinschaftliche Testament aus dem Jahr 2001 ihn und das andere Patenkind als Schlusserben festlegte. Das Testament wurde so ausgelegt, dass die erbrechtlichen Verfügungen wechselbezüglich und bindend waren. Die Änderung zugunsten der zweiten Ehefrau wurde als unwirksam erklärt. Die weiteren handschriftlichen Testamente wurden als nicht formwirksam erachtet, da sie nicht den rechtlichen Anforderungen entsprachen.
Dieser Einschätzung schloss sich schließlich auch das OLG an. Auch wenn das notarielle Testament keine ausdrückliche wechselbezügliche Regelung enthielt, kam das Gericht über eine Auslegung dazu, dass die Schlusserbeneinsetzung der Patenkinder wechselbezüglich getroffen wurde - und damit auch für den Längstlebenden bindend war. Für das OLG spielte hier eine Rolle, dass die Erblasser in dem Testament formulierten, dass "unsere" Patenkinder als Schlusserben eingesetzt werden. Die Einsetzung erfolgte daher aufgrund eines gemeinsamen Willens beider Eheleute - unabhängig von den familiären Beziehungen. Hierfür sprach nach Ansicht des Gerichts auch, dass als Ersatzschlusserben die Geschwister der Patenkinder benannt wurden, was nochmals verdeutlichte, dass es den Erblassern nicht darauf ankam, nur die jeweiligen Familienstämme zu bedenken. Den eingesetzten Erben wurde der beantragte gemeinschaftliche Erbschein erteilt.
Hinweis: Im Zweifel gilt, dass Verfügungen von Eheleuten dann wechselbezüglich sind, wenn die Ehegatten sich gegenseitig bedenken oder wenn dem einen Ehegatten von dem anderen eine Zuwendung gemacht und für den Fall des Überlebens des Bedachten eine Verfügung zugunsten einer Person getroffen wird, die mit dem anderen Ehegatten verwandt ist oder ihm sonst nahe steht.
Quelle: OLG München, Beschl. v. 30.01.2024 - 33 Wx 191/23 e
zum Thema: | Erbrecht |
(aus: Ausgabe 04/2024)
Das Nachlassgericht kann zur Sicherung und Verwaltung eines Nachlasses sowie zur Ermittlung von Erben einen Nachlasspfleger bestellen, der für seine Tätigkeit eine Vergütung erhält. Deren Höhe kann sich erheblich unterscheiden - je nachdem, ob der Nachlasspfleger diese Tätigkeit berufsmäßig ausübt oder eben nicht. Da hier eine solche Prüfung vorab unterblieben ist, musste sich das Oberlandesgericht München (OLG) mit den Folgen der ausgebliebenen Differenzierung befassen.
Die Erblasserin verstarb im Jahr 2006, und das Nachlassgericht ernannte einen Nachlasspfleger zum Zweck der Sicherung und Verwaltung des Nachlasses sowie zur Erbenermittlung. Die Feststellung einer berufsmäßigen Führung der Nachlasspflegschaft wurde nicht vorgenommen. Der Nachlasspfleger beantragte im März 2022 eine Vergütung von 14.979 EUR für seine Tätigkeit, die das Nachlassgericht im April 2023 auch genehmigte. Hiergegen legten die Erben Beschwerde ein. Ihre Begründung: Weder Prüffähigkeit der Abrechnung noch Plausibilität einiger Tätigkeiten könnten nachvollzogen werden. Das Nachlassgericht wies die Beschwerde ab und legte die Akten zur Entscheidung dem OLG vor.
Der Senat hat entschieden, dass die Festsetzung der Vergütung des Nachlasspflegers als berufsmäßiger Nachlasspfleger nicht möglich sei, da eine solche Feststellung im Bestellungsverfahren unterblieben ist. Daher kann die Vergütung nur anhand des Umfangs, der Schwierigkeiten sowie des angefallenen Zeitaufwands bemessen werden. Es wurde festgestellt, dass der Umfang und die Schwierigkeit der Tätigkeiten des Nachlasspflegers eine angemessene Vergütung rechtfertigen; die Höhe der Vergütung wurde auf 4.579 EUR festgelegt, basierend auf den vom Nachlasspfleger vorgelegten Stunden und einem aus Sicht des Gerichts angemessenen Stundensatz.
Hinweis: Als Anhaltspunkte für die Bemessung eines Stundensatzes können die Fälle des § 3 Vormünder- und Betreuervergütungsgesetz herangezogen werden.
Quelle: OLG München, Beschl. v. 30.01.2024 - 33 Wx 152/23 e
zum Thema: | Erbrecht |
(aus: Ausgabe 04/2024)
Verstirbt ein deutscher Staatsbürger im Ausland, stellt sich zur Regelung der Nachlassangelegenheiten meist die Frage, in welchem Land die Zuständigkeit des Nachlassgerichts gegeben ist. Der folgende Fall des Oberlandesgerichts Karlsruhe (OLG) wies hierbei einige interessante Besonderheiten auf.
Der Erblasser war deutscher Staatsangehöriger und im Jahr 2019 an seinem letzten Wohnort in Kolumbien verstorben. Sein Nachlass umfasste unter anderem Immobilien in Schweden und Kolumbien, GmbH-Anteile einer Firma in Deutschland sowie Guthaben und Bankkonten in Deutschland und der Schweiz. Der Mann war insgesamt viermal verheiratet, wobei aus der ersten Ehe zwei leibliche Kinder hervorgegangen waren. Seit 2011 war der Erblasser zudem auch als Staatsbürger in Schweden registriert, seit dem Jahr 2016 war sein gewöhnlicher Aufenthalt in Kolumbien. Aufgrund eines privatschriftlichen Testaments aus dem Jahr 2002 ging es in dem Erbscheinsverfahren unter anderem um die internationale und örtliche Zuständigkeit des Amtsgerichts Konstanz (AG).
Das OLG bestätigte insoweit die Einschätzung des AG, dass dieses für die Erteilung des Erbscheins sowohl international als auch örtlich zuständig war. Zunächst prüfte das Gericht, wo der Erblasser zum Zeitpunkt seines Todes den gewöhnlichen Aufenthalt hatte, und kam zu dem Ergebnis, dass es sich hierbei um Kolumbien handelte. Nach dieser Feststellung sind die Gerichte eines Mitgliedstaats, in dem sich Nachlassvermögen befindet, für Entscheidungen in Erbsachen für den gesamten Nachlass zuständig - aber nur, sofern der Erblasser zum Zeitpunkt seines Todes die Staatsangehörigkeit dieses Mitgliedstaates besaß. Dabei ist unerheblich, ob es sich um das gesamte Vermögen des Erblassers handelt oder welchen Anteil am Gesamtvermögen dieses ausmacht. Also kam es einzig auf die Staatsangehörigkeit des Erblassers an. Örtlich war das AG zuständig, weil der Erblasser zu einem früheren Zeitpunkt dort einmal seinen gewöhnlichen Aufenthalt hatte. Unerheblich blieb, wie lange der letzte gewöhnliche Aufenthalt bereits zurücklag. Da das Gericht auch zu dem Prüfungsergebnis kam, dass das Testament formal wirksam war, durfte das Nachlassgericht auch den entsprechenden Erbschein erteilen.
Hinweis: Auch die Frage der Testierfähigkeit beurteilte sich in dem Fall nach deutschem Erbrecht.
Quelle: OLG Karlsruhe, Beschl. v. 19.02.2024 - 14 W 87/23
zum Thema: | Erbrecht |
(aus: Ausgabe 04/2024)
Die Kosten einer möglichen Rechtsverfolgung spielen eine beachtliche Rolle. Dazu gehören insbesondere Anwaltskosten, die häufig anhand des Streitwerts bemessen werden. Genau um einen solchen Streitwert ging es auch im folgenden Rechtsstreit, den das Oberlandesgericht München (OLG) zu bewerten hatte.
Die pflichtteilsberechtigte Klägerin forderte den beklagten Erben auf, den Wert des von der Erblasserin hinterlassenen Schmucks durch Vorlage eines Gutachtens festzustellen. Sie bezifferte den Wert des Schmucks in ihrer Klageschrift auf 5.000.000 EUR und ermittelte darauf basierend einen Streitwert von 312.500 EUR, den das zuerst betraute Landgericht (LG) zunächst auch zugrunde legte. Der Beklagte legte dagegen eine Beschwerde ein - er vertrat die Ansicht, der Wert sei lediglich auf 37.500 EUR oder hilfsweise auf 93.750 EUR festzusetzen. Das LG wies diese Beschwerde zurück und legte die Akten zur Entscheidung dem OLG vor.
Das OLG stimmte dem Ansatz des LG grundsätzlich zu, den Streitwert auf der Grundlage der von der Klägerin angegebenen Werte festzusetzen. Da der Anspruch auf Wertermittlung ein Hilfsanspruch für die Bemessung des späteren Zahlungsanspruchs ist, wurde ein deutlicher Abschlag vorgenommen. Unter Berücksichtigung der Grundsätze des Bundesgerichtshofs wurde eine Quote von 10 % des Leistungsanspruchs zugrunde gelegt, was ausgehend von einem Pflichtteilsanspruch von 695.500 EUR zu einem Streitwert von 62.500 EUR führte.
Hinweis: Kommt es im Rahmen einer sogenannten Stufenklage nach Erteilung der Auskunft auf der ersten Stufe nicht mehr zu einer Bezifferung eines Leistungsanspruchs auf der nächsten Stufe (sogenannte steckengebliebene Stufenklage), stellen Gerichte hinsichtlich des Streitwerts auf die realistischen wirtschaftlichen Erwartungen eines Klägers zu Beginn des Verfahrens ab. Diese Betrachtung hat das OLG auch in dem entschiedenen Fall herangezogen.
Quelle: OLG München, Beschl. v. 19.02.2024 - 33 Wx 71/24 e
zum Thema: | Erbrecht |
(aus: Ausgabe 04/2024)
Zum Thema Familienrecht
- Freier Wille: Persönliche Ablehnung eines geeigneten Betreuers muss respektiert werden
- Keine Härtefallscheidung: Außereheliche Schwangerschaft ist keine unzumutbare Härte für die Schwangere selbst
- Nachweis akuter Gefahr: Keine zweijährige Zwangsbehandlung von psychisch Kranker ohne konkreten Gefährdungsgrad
- Nicht leibliches Kind: Nach Trennung ist sozialer Vater im Umgang nicht rechtlos
- Unveräußerbares Kindeswohl: Regelung zu Vertragsstrafe in Umgangsvereinbarung ist unwirksam
Wer seine Angelegenheiten nicht (mehr) selbst besorgen kann, weil er dement oder geistig oder psychisch eingeschränkt ist, bekommt einen gerichtlichen Betreuer beigeordnet, wenn er niemanden aus der Familie bevollmächtigt hat. Der Bundesgerichtshof (BGH) musste entscheiden, ob der Wille der Betroffenen oder eine objektive Betrachtung der Situation Antwort auf die Frage geben soll, ob und inwieweit die Befugnisse eines Berufsbetreuers erweitert werden.
Eine knapp 40-jährige Frau hatte schon Jahrzehnte eine solche Betreuung, weil sie unter dem Asperger-Syndrom litt. Der Berufsbetreuer, der sich bislang nur um ihre Post und ihr Geld zu kümmern hatte, wollte nun auch die Gesundheitsfürsorge übernehmen, nachdem die Frau einen Konflikt mit ihrer Krankenkasse nicht selbst lösen konnte und deshalb ein Verfahren am Sozialgericht lief. Die Betreute wollte aber in diesem Bereich lieber durch ihre Mutter vertreten werden.
Gegen den freien Willen eines Volljährigen darf kein Betreuer bestellt werden (§ 1814 Abs. 2 Bürgerliches Gesetzbuch). Das umfasst - so der BGH - nicht nur die Betreuung als solche, sondern auch die Betreuungsperson. Wenn eine Betroffene ausdrücklich eine Betreuungsperson wünscht und das ihr "freier Wille" ist, muss das Gericht dies berücksichtigen. Für einen "freien Willen" bedarf es dabei nicht einmal der Geschäftsfähigkeit. Die beiden entscheidenden Kriterien hierfür sind zum einen die Einsichtsfähigkeit des Betroffenen und zum anderen dessen Fähigkeit, nach dieser Einsicht zu handeln und sich dabei von den Einflüssen interessierter Dritter abzugrenzen. Das Gericht darf dann auch nicht prüfen, ob es objektiv vorteilhafter wäre, dass ein Berufsbetreuer sich kümmert, weil er es besser kann - der "freie Wille" ist höherrangig gegenüber objektiven Vorteilen. Deshalb war es nun hier an einem Gutachter, zu prüfen, ob die Mutter als Betreuerin für die Gesundheitsfürsorge zu bestellen ist.
Hinweis: Gründe, den vom Betreuten mit freiem Willen benannten Betreuer nicht zu bestellen, gibt es nur zwei: Der Betreuer selbst lehnt ab oder er ist objektiv ungeeignet für die Aufgabe.
Quelle: BGH, Beschl. v. 10.01.2024 - XII ZB 217/23
zum Thema: | Familienrecht |
(aus: Ausgabe 04/2024)
Ist eine Verheiratete schwanger, und zwar nicht vom Ehegatten, kann dies durchaus einen Grund für eine sogenannte Härtescheidung sein. Im folgenden Fall war dies der Grund für eine Schwangere, um für sich Verfahrenskostenhilfe (VKH) für die Stellung eines Scheidungsantrags zu beantragen. Das Oberlandesgericht Zweibrücken (OLG) jedoch lehnte ab. Lesen Sie hier, warum.
Die einzige Möglichkeit, ohne Trennungsjahr unverzüglich geschieden zu werden, ist eine Unzumutbarkeit der weiteren Eheführung. Früher wurde eine solche Unzumutbarkeit in einer Schwangerschaft der Ehefrau von einem anderen Mann gesehen - die letzten positiven obergerichtlichen Entscheidungen dazu sind aber auch schon über 20 Jahre alt (z.B. OLG Karlsruhe, Beschluss vom 13.04.2000 - 20 WF 32/00). Auch heutzutage kann ein solcher Umstand Ausschlag dafür geben, das Trennungsjahr auszusparen und früher geschieden zu werden. Die Antragstellerin war hier nicht nur von einem anderen Mann schwanger, sondern trug vor, zudem an Depressionen zu leiden, die ein weiteres Zusammenleben unzumutbar machten. Dennoch lehnte das Familiengericht die VKH ab - es sah schlichtweg keine Aussichten auf Erfolg.
Das OLG schloss sich dieser Auffassung an. Sowohl eine außereheliche Schwangerschaft als auch eine Depressionserkrankung können zwar durchaus Härtefälle darstellen. Auf keinen Fall kann sich aber die Ehefrau selbst darauf berufen, wenn sie den Antrag auf Scheidung vor Ablauf des Trennungsjahres stellt. Denn weder die vorgetragene Depressionserkrankung der Antragstellerin noch die Schwangerschaft seien in der Person des Antragsgegners begründet. Und diese Begründung ist für die Härtefallregelung unverzichtbar. So verweigerte auch das OLG der schwangeren Frau die VKH.
Hinweis: Die Fortsetzung der Ehe muss für den Antragsteller selbst eine unzumutbare Härte darstellen, die in der Person des anderen Ehegatten begründet sind. Das soll verhindern, dass sich der Antragsteller auf eigene gravierende Unzulänglichkeiten berufen kann. Ebenfalls nicht unzumutbar ist ein Abwarten des Trennungsjahres, wenn alle Härten des Zusammenlebens allein schon durch eine räumliche Trennung beendet werden können (beispielsweise bei häuslicher Gewalt).
Quelle: OLG Zweibrücken, Beschl. v. 07.02.2024 - 2 WF 26/24
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(aus: Ausgabe 04/2024)
Wer psychisch schwer erkrankt ist und deshalb unter gerichtlicher Betreuung steht, ist naturgemäß nicht immer einsichtig - auch was die notwendige Medikamentierung angeht. Welche Möglichkeiten den Betreuern in derartigen Lagen offenstehen und was vor allem dafür an gerichtlicher Vorarbeit zu leisten ist, zeigt das folgende Urteil des Bundesgerichtshofs (BGH).
Eine 50-Jährige war bereits viele Jahre paranoid und psychotisch. Ihr Medikament schlug nicht mehr an, ein anderes Medikament wollte sie nicht ausprobieren. Deshalb beantragte die Betreuerin eine gerichtliche Genehmigung zur Zwangsbehandlung in einer Klinik, verbunden mit Zwangsunterbringung für zwei Jahre, weil die Dosierung längerfristig erprobt und eingestellt werden müsse. Außerdem bestehe die Hoffnung, dass die Betreute nach einer so langen Behandlung einsichtig genug geworden sei, anschließend ihre Medikamente freiwillig einzunehmen.
Die gesetzlichen Voraussetzungen für eine Zwangsbehandlung psychisch Kranker sind sehr hoch, das ist als Folge ärztlichen Verhaltens im Nationalsozialismus zu verstehen. Allein die Tatsache, dass es vernünftig wäre, eine Langzeittherapie mit einem neuen Medikament zu beginnen, genügt dafür nicht. Auch der psychisch Kranke verdient Respekt vor seinem Willen, solange keine akute, ernstliche und konkrete Gefahr für Leib und Leben des Betreuten vorliegt. Die Hinweise in der Akte darauf, dass die Betroffene durch ihr Wahnerleben so stark beeinträchtigt sei, dass "sie sich nicht mehr ausreichend selbst versorgen (...), keinerlei Gefahren abschätzen (...) und Dritte bedrohen" könne, genügten dem BGH dafür nicht. Erforderlich wären nähere Feststellungen zur konkreten Art der befürchteten selbstschädigenden Handlungen und der durch sie möglicherweise eintretenden erheblichen Gesundheitsschäden. So gab der BGH die Akte an das Landgericht zurück, um die Antworten zum konkreten Gefährdungsgrad zu ermitteln.
Hinweis: Die Entscheidung zeigt das Grundrecht des Menschen zu selbstschädigendem Verhalten auf.
Quelle: BGH, Urt. v. 17.01.2024 - XII ZB 434/23
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(aus: Ausgabe 04/2024)
Im folgenden Fall musste das Oberlandesgericht Frankfurt am Main (OLG) nach dem Amtsgericht Bensberg (AG) über den Umgang mit einem Fünfjährigen entscheiden, dessen Eltern sich noch vor seiner Geburt getrennt hatten. Der Mann, mit dem die Mutter danach zusammenlebte und von dem sie sich nach gut vier Jahren kurz nach der Geburt eines gemeinsamen Kindes wieder trennte, wünschte sich aber weiterhin Kontakt mit dem Fünfjährigen.
Die Mutter, die wieder mit dem Vater des Fünfjährigen zusammenlebte, verweigerte dem Expartner den Umgang mit seinem einstigen Ziehsohn. Doch auch enge Bezugspersonen können ein Recht auf Umgang mit dem Kind haben (§ 1685 Abs. 2 Bürgerliches Gesetzbuch), wenn sie für dieses Kind die tatsächliche Verantwortung tragen bzw. getragen haben und der Umgang dem Wohl des betroffenen Kindes dient. Das AG stellte daher fest, dass der Antragsteller eine ähnlich wichtige Bezugsperson für das Kind wie die leiblichen Eltern sei, da er mit dem Kind über mehrere Jahre in häuslicher Gemeinschaft gelebt und der Junge ihn von Beginn an als "Papa" angesehen habe. Der Bindungsabbruch aufgrund der ablehnenden Haltung der Eltern habe ein solches Maß erreicht, dass sich hieraus eine Gefahr für die Entwicklung des Kindes ergeben könne. Deshalb bestellte das Gericht einen Umgangspfleger, der durchzusetzen habe, dass der Junge in den ungeraden Kalenderwochen von Freitag 15 Uhr bis Montag 9 Uhr und jede Woche dienstags von 15 Uhr bis mittwochs 9 Uhr bei diesem Mann verbringe. Auf die Anhörung des Kindes verzichtete das AG, um den Loyalitätskonflikt nicht zu vertiefen, nachdem die Eltern zum Anhörungstermin des Kindes eine Krankmeldung eingereicht hatten. Die Eltern legten Beschwerde ein und verweigerten in der Zwischenzeit auch die Zusammenarbeit mit der Umgangspflegerin.
Das OLG hob die Entscheidung auf, weil sie nicht ohne die Anhörung des Kindes hätte ergehen dürfen. Das AG hätte sich selbst ein Bild von dem betroffenen Kind machen und notfalls erzwingen müssen, dass die Eltern es dafür zum Gericht bringen - notfalls mit Zwangsgeld oder Zwangshaft. Für das erneute Verfahren beim AG gab das OLG zu bedenken, dass die Umgangsregelung zu großzügig sein könnte, weil sie sich am Üblichen für leibliche Eltern orientierte. Üblich seien stattdessen eher Tagesbesuche. Insbesondere sei zu berücksichtigen, dass zwischen den drei Erwachsenen erhebliche Spannungen herrschen und die Kindeseltern sich vehement gegen einen Umgang ausgesprochen hatten. Es sei daher nur schwer vorstellbar, wie innerhalb eines großzügigen Umgangsrechts erzieherische und organisatorische Absprachen ablaufen sollten.
Hinweis: Anders als der leibliche Vater hat eine "sonstige Bezugsperson" auch während des Umgangs keinerlei Entscheidungsbefugnisse.
Quelle: OLG Frankfurt am Main, Urt. v. 18.01.2024 - 6 UF 224/23
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(aus: Ausgabe 04/2024)
Im folgenden Streitfall lag das Familiengericht mit der Regelung außerhalb Europas zum Umgang der Kinder mit ihrem Vater und dessen Zugewinnleistung für die mit den Kindern lebende Mutter nicht gänzlich falsch. Was die nach Gegenwehr der Mutter damit befassten Instanzen - Amtsgericht (AG) und Oberlandesgericht (OLG) - nicht bemängelten, machte der Sache aber vor dem Bundesgerichtshof (BGH) einen Strich durch die Rechnung.
Es standen sich die Zugewinnforderung einer Ehefrau und der Umgangswunsch des Ehemanns mit seinen Kindern gegenüber. Die Kinder lebten mit der Mutter in Peru. Weil sein Umgangsrecht dort schwer durchzusetzen war, machte der Vater die Zahlung des Zugewinnausgleichs in Raten davon abhängig, dass die Umgangsvereinbarung auch tatsächlich klappte: Die jährliche Rate von 20.000 EUR sollte in den nächsten drei Jahren jeweils erst dann fällig werden, nachdem die gemeinsamen Kinder drei Wochen Sommerumgang mit dem Vater in Deutschland gehabt haben. Die Mutter stimmte zu, das Familiengericht protokollierte dies als Vereinbarung und billigte diese im Hinblick auf das Kindeswohl, ohne die Kinder angehört oder das Jugendamt beteiligt zu haben. Dann klagte die Frau auf Unwirksamkeit der Vereinbarung. Weder wollte sie den Vergleich zum Zugewinn akzeptieren noch ein Ordnungsgeld für den Fall riskieren, dass sie den Umgang mit den Kindern vereitelt. AG und OLG gaben ihr nicht recht - doch was sagte der BGH?
Der BGH verwies darauf, dass eine Verknüpfung von Geld und Umgang immer kritisch zu betrachten sei. Kinder dürfen nicht zum Gegenstand eines Handels werden, ihr Wohl darf nicht verkauft werden. Das ist sittenwidrig und wird als unzulässige Kommerzialisierung des Elternrechts beurteilt. Die Gerichte hatten hier zwar keine Zweifel daran, dass der Vater ohnehin ein Recht auf dreiwöchigen Sommerurlaub mit den Kindern habe, und verstanden, dass es ihm nur darum ging, die Lästigkeiten oder Unmöglichkeiten einer Vollstreckung im außereuropäischen Ausland zu beseitigen. Die Vereinbarung hatte daher den Charakter einer Vertragsstrafe. Das wäre bei einem solchen Auslandsfall prinzipiell zwar möglich, weil die Motive nicht kindeswohlwidrig sind. Dennoch sah es der BGH als Problem, dass es kein Umgangsverfahren gegeben hatte, in dem das Kindeswohl geprüft, die Kinder angehört und das Jugendamt beteiligt worden wären. Zudem merkte der BGH an, dass sich das Kindeswohl in den nächsten Jahren ändern und es somit künftig auch gute Gründe geben könne, aus denen der Umgang mit dem Vater in Deutschland nicht stattfinde. Es fehlte eine Regelung dazu, was dann mit dem Zahlungsanspruch der Mutter geschehen solle. Daher kam der BGH nicht umhin, der Mutter recht zu geben und den Vergleich als insgesamt nichtig zu erklären.
Hinweis: Die Entscheidung des BGH führte dazu, dass auch über den Zugewinn neu verhandelt werden musste.
Quelle: BGH, Urt. v. 31.01.2024 - XII ZB 385/23
zum Thema: | Familienrecht |
(aus: Ausgabe 04/2024)
Zum Thema Mietrecht
- Basis für Mietpreisbremse: Vermieter muss nicht überprüfen, ob Vormiete rechtlich zulässig war
- Installationspflicht unumgänglich: Bayerischer VGH erklärt Rauchwarnmelder für verfassungsgemäß
- Mieterhöhung: Ermittlung der ortsüblichen Vergleichsmiete kann nicht auf das Gericht abgewälzt werden
- Rückschnitt einer Hecke: Wer selbst Regeln bricht, kann nach Treu und Glauben von Ansprüchen ausgeschlossen werden
- Vergebliche Wohnungssuche: LG Berlin ordnet befristete Fortsetzung eines Mietverhältnisses an
Die sogenannte Mietpreisbremse in Ballungszentren führt immer wieder zu gerichtlichen Auseinandersetzungen. Klar ist, dass bei neuem Vertragsabschluss die Vormiete als Basis für die Festlegung der aktuellen Miete dienen soll. Was hier jedoch unklar war: Muss der Vermieter darüber aufklären, ob und dass diese Vormiete als Bemessungsgrundlage bereits zu hoch angesetzt war? Der Bundesgerichtshof (BGH) hatte hierüber das letzte Wort.
Ein Inkassodienstleister ließ sich von einem Mieter Ansprüche wegen eines behaupteten Verstoßes gegen die Begrenzung der Miethöhe gegen den Vermieter abtreten und verlangte dafür die vermieterseitige Auskunft über die Vormiete. Als sich diese als viel zu hoch erwies (16,66 EUR/m2 statt der ortsüblichen Vergleichsmiete von 7,33 EUR/m2), meinte das Inkassounternehmen, dass der Vermieter seiner Auskunftsverpflichtung nicht nachgekommen sei, da die seinerseits mitgeteilte Vormiete nicht der mieterseitig rechtlich geschuldeten Miete entsprochen habe.
Der BGH meinte dazu, dass es den inhaltlichen Anforderungen der vorvertraglichen Auskunftspflicht genüge, wenn der Vermieter dem Mieter die Höhe der vertraglich vereinbarten Vormiete mitteilt. Keine Verpflichtung treffe ihn über die Angabe der vertraglich vereinbarten Vormiete hinaus, diese auch auf ihre Zulässigkeit nach den gesetzlichen Regelungen zu überprüfen und nur die demnach zulässige Miete mitzuteilen. Der Anspruch auf Mietrückzahlung war hier daher zwar gegeben, fiel aber entsprechend geringer aus als gedacht.
Hinweis: In diesem Fall hatten die Mieter ihren Anspruch an ein Inkassounternehmen abgetreten. Das hat dann versucht, die Ansprüche durchzusetzen. Für Mieter eine verlockende Angelegenheit, da sie häufig nicht mit Kosten belastet werden.
Quelle: BGH, Urt. v. 29.11.2023 - VIII ZR 75/23
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(aus: Ausgabe 04/2024)
Es gibt sicherlich eine Reihe von Regelungen, die unnütz sind. Die Vorschriften zum Einbau von Rauchwarnmeldern in Wohnungen gehören sicherlich nicht dazu, denn deren Nutzen sollte eigentlich jedem einleuchten. Da sich zwischen "eigentlich" und "tatsächlich" jedoch des Öfteren einige Lücken auftun, konnte erst der Bayerische Verwaltungsgerichtshof (VGH) diese hier bei einem Eigentümer füllen.
Laut Bayerischer Bauordnung muss in Schlafräumen und Kinderzimmern sowie Fluren, die zu Aufenthaltsräumen führen, jeweils mindestens ein Rauchwarnmelder installiert sein. Ein Mann hielt die Vorschrift für verfassungswidrig und berief sich insbesondere auf das Eigentumsrecht, den Gleichheitsgrundsatz und das Recht auf die Unverletzlichkeit der Wohnung.
Der VGH jedoch hielt die Regelung für durchaus verfassungsgemäß. Erstens war das Eigentumsgrundrecht nicht verletzt. Es werde ein verfassungsrechtlich legitimer Zweck verfolgt - und dessen Zweckerreichung ist in Form der Installation von Rauchwarnmeldern geeignet, erforderlich und vor allem auch verhältnismäßig.
Das Grundrecht auf Unverletzlichkeit der Wohnung wird durch die Regelung ebenfalls nicht verletzt. Die Vorschrift begründet lediglich bauordnungsrechtlich eine Verpflichtung zur Installation von Rauchwarnmeldern für den Eigentümer.
Schließlich verstieß die Regelung auch nicht gegen den Gleichheitsgrundsatz. Dass der Gesetzgeber die Verpflichtung zur Installation dem Eigentümer auferlegt hat, ist sachlich gerechtfertigt. Der Eigentümer ist grundsätzlich für die Verkehrssicherung verantwortlich und zieht zudem Nutzen aus dem Eigentum. Es ist daher sachgerecht, ihm auch die bauordnungsrechtliche Installationspflicht aufzuerlegen.
Hinweis: Vergleichbare Vorschriften wie die in Bayern gibt es mittlerweile in sämtlichen Bundesländern. Überall wird der Eigentümer oder Vermieter zur Installation der Rauchwarnmelder verpflichtet.
Quelle: Bayerischer VGH, Urt. v. 26.10.2023 - Vf. 6-VII-22
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(aus: Ausgabe 04/2024)
Will der Vermieter die Miete erhöhen, ist dafür häufig die ortsübliche Vergleichsmiete entscheidend. Wie er diese in Erfahrung bringt, war die Kernfrage des folgenden Falls vor dem Amtsgericht Hamburg (AG). Und eines darf vorweggenommen werden: Sich selbst erklärte das AG schon einmal nicht ohne weiteres als dafür zuständig.
Ein Vermieter wollte die Miete erhöhen und reichte vor dem zuständigen AG einen Antrag auf Einholung eines Gutachtens zur ortsüblichen Vergleichsmiete der von der Mieterin bewohnten Wohnung ein. Dabei ging er im sogenannten selbständigen Beweisverfahren vor. Die eigentliche Klage auf Zustimmung zur Mieterhöhung hatte er dabei jedoch noch nicht erhoben. Mit diesem selbständigen Beweisverfahren kam der Vermieter allerdings nicht weiter.
Das AG war der Auffassung, dass es nicht zulässig sei, vor einem Mieterhöhungsverlangen die ortsübliche Vergleichsmiete im Wege des selbständigen Beweisverfahrens klären zu lassen. Es handele sich nicht um eine zwingend gerichtlich zu entscheidende Rechtsfrage. Diese würde erst dann entstehen, wenn der betreffende Mieter das vermieterseitige Mieterhöhungsbegehren inklusive der vermieterseitig eingeholten Informationen und Argumente verweigern würde. Erst dann dürfe auch die Mieterseite mit den Kostenrisiken eines solchen Verfahrens belastet werden.
Hinweis: Der Vermieter kann also die Ermittlung der ortsüblichen Vergleichsmiete nicht auf das Gericht abwälzen. Er muss schon selbst tätig werden und zumindest ansatzweise versuchen, die ortsübliche Vergleichsmiete zu ermitteln. Im Zweifel kann dabei ein Rechtsanwalt helfen.
Quelle: AG Hamburg, Urt. v. 16.01.2024 - 49 H 3/23
zum Thema: | Mietrecht |
(aus: Ausgabe 04/2024)
"Was du nicht willst, dass man dir tu’, das füg’ auch keinem and’ren zu" - würde dies stets berücksichtigt werden, wäre der juristische Betrieb ein ruhiges Plätzchen. Da wir aber sind, wie wir nun einmal sind, kommt es zu solchen Fällen wie dem vor dem Landgericht Frankenthal (LG). Hier konnte einer nicht lassen, dem anderen etwas vorzuwerfen, das er selbst auch getan hatte. Und dadurch verwirkte er seinen eigentlich durchaus berechtigten Anspruch.
Es ging um einen Streit zwischen zwei Nachbarn. Direkt entlang der Grundstücksgrenze verlief auf dem Grundstück eines Nachbarn eine 2,20 m hohe Hecke. Sein Nachbar verlangte nun unter Berufung auf das geltende Landesrecht, dass die Hecke auf einer Höhe von maximal 1,5 m gehalten werde.
Grundsätzlich bestätigte das LG, dass Hecken entlang der Grenze eines Grundstücks dem geltenden Nachbarrecht entsprechen müssen. Die Pflanzen dürfen eine bestimmte Höhe nicht überschreiten, und deshalb könne der Nachbar den Rückschnitt auch verlangen. Hier stand dem jedoch der Grundsatz von Treu und Glauben entgegen. Es musste berücksichtigt werden, dass auch auf dem Grundstück des Klägers direkt hinter dem Zaun eine 3 bis 4 m hohe Kugelhecke und eine etwa 2,5 m hohe Zypresse gepflanzt waren. Dadurch werde ebenfalls gegen das Nachbarrecht verstoßen. Und wer sich selbst nicht regelgerecht verhält, ist nach Treu und Glauben von Ansprüchen gegen seinen Nachbarn ausgeschlossen.
Hinweis: Wer im Glashaus sitzt, sollte also nicht mit Steinen werfen. Die Richter des Falls haben das Recht weit ausgelegt. Interessengerecht könnte es in solchen Fällen auch sein, dass beide Nachbarn ihre Gehölze zu stutzen haben.
Quelle: LG Frankenthal, Urt. v. 24.01.2024 - 2 S 85/23
zum Thema: | Mietrecht |
(aus: Ausgabe 04/2024)
Fälle wie den folgenden werden wir den nächsten Jahren sicherlich häufiger erleben. Denn der insbesondere seitens der Politik seit Jahren verschuldete Wohnungsmangel führt dazu, dass Vermieter Räumungsprozesse zwar gewinnen, Mieter aber dennoch in den Räumen bleiben dürfen. Das Gericht im folgenden Fall urteilt regelmäßig in einem der am stärksten umkämpften Ballungsgebiete - das Landgericht in Berlin (LG).
Eine Vermieterin meldete an einer Mietwohnung Eigenbedarf an und kündigte das Mietverhältnis. Die Mieter suchten in der Folgezeit nach einer anderen Wohnung - erfolglos. Schließlich erhob die Vermieterin eine Räumungsklage - erfolgreich. Und nun?
Das LG war der Auffassung, dass der Eigenbedarfsgrund das Mietverhältnis zwar grundsätzlich beendet habe. Trotzdem ordnete es die Fortsetzung des Mietverhältnisses für die Dauer von zwei Jahren an. Zudem änderte es die bisherigen Vertragsbedingungen von Amts wegen und hob die von den Mietern bisher geschuldete Nettokaltmiete auf ein marktübliches Niveau an. Die Richter stellten darauf ab, dass sich die Mieter nach Ausspruch der Eigenbedarfskündigung über einen Zeitraum von fast zwei Jahren auf eine Vielzahl von Wohnungen im gesamten Berliner Stadtgebiet beworben hatten, jedoch aufgrund der angespannten Lage auf dem dortigen Wohnungsmarkt sowie des nur noch geringen Angebots freier Wohnungen mit ihren Bewerbungen keinen Erfolg hatten.
Hinweis: Das Mietverhältnis bleibt trotz der Anordnung auf Fortsetzung nicht ewig bestehen. Vermieter müssen ihrerseits nur aufpassen, dass es sich nicht faktisch durch ein längeres Verbleiben in der Wohnung fortsetzt, als von der Behörde angeordnet.
Quelle: LG Berlin, Urt. v. 25.01.2024 - 67 S 264/22
zum Thema: | Mietrecht |
(aus: Ausgabe 04/2024)
Zum Thema Sonstiges
- Die diplomatische Mission: Demonstration: ja - Projektion auf Botschaftsgebäude: nein
- Frage mit Grundsatzbedeutung: BGH könnte Ladenöffnungs- und Feiertagsgesetz für Apotheken zu Fall bringen
- Kein Schaden, kein Geld: Kein Anspruch auf Ausgleichszahlung, wenn trotz Flugverspätung kein Zeitverlust entsteht
- Pädagogischer Beurteilungsspielraum: Schule darf schlagendem Schüler Teilnahme an Klassenfahrt verweigern
- Wohnsitz im EU-Ausland: Verweigerung von Personalausweis aus EU-Heimatland verstößt gegen Unionsrecht
Selbstverständlich macht die Weltpolitik auch vor deutschen Gerichten keinen Halt. Das Verwaltungsgericht Berlin (VG) musste nicht nur die Demonstrationsfreiheit, sondern auch die staatlichen Pflichten aus dem Wiener Übereinkommen zu diplomatischen Beziehungen in seine Entscheidung miteinbeziehen. Und dabei spielte die "Würde der diplomatischen Mission" und deren Wahrung die entscheidende Rolle.
Ein Verein hatte für den 24.02.2024 zu einer Versammlung vor der russischen Botschaft in Berlin aufgerufen - das Thema war "Russlands Angriffskrieg gegen die Ukraine, zwei Jahre seit dem Beginn der Vollinvasion". Dabei wollte der Verein Bilder und Videos auf das Botschaftsgebäude projizieren. Die Polizei Berlin, die keine Bedenken gegen die Versammlung als solche äußerte, untersagte dem Verein jedoch das Anstrahlen des Gebäudes. Dagegen erhob der Verein einen Eilantrag beim VG - vergeblich.
Die geplante Projektion von Bildern und Videos auf Gebäudeteile der Botschaft verletze laut VG die Würde der diplomatischen Mission. Nach dem Wiener Übereinkommen vom 18.04.1961 über diplomatische Beziehungen treffe den Empfangsstaat die besondere Pflicht, alle geeigneten Maßnahmen zu ergreifen, um die Räumlichkeiten einer diplomatischen Mission vor jedem Eindringen und jeder Beschädigung zu schützen. Auch müsse der Empfangsstaat verhindern, dass der Friede der Mission gestört oder ihre Würde beeinträchtigt wird. Friedliche Demonstrationen vor diplomatischen Vertretungen sind zwar grundsätzlich zulässig - das Anstrahlen der Botschaft mit Bildern und Videos berge jedoch die Gefahr, dass der Mission eine von ihr nicht geäußerte oder gebilligte Meinung unzutreffend zugeschrieben wird. Und eben dies verletze die Würde der Mission.
Hinweis: Und weil alles so eilig war, hat sowohl das Berliner Oberverwaltungsgericht bereits am 21.02.2024 als auch schließlich das Bundesverfassungsgericht am 23.02.2024 den Beschluss des VG auch so bestätigt.
Quelle: VG Berlin, Beschl. v. 20.02.2024 - VG 1 L 57/24
zum Thema: | Sonstiges |
(aus: Ausgabe 04/2024)
Ausgerechnet Medikamente dürfen an Sonn- und Feiertagen nicht bis an die Tür geliefert werden. So bleibt Menschen mit dringendem Bedarf dann auch nur der Gang zu den Notapotheken. Das Oberlandesgericht Köln (OLG) hatte auf Betreiben eines Wettbewerbsvereins die Zusammenarbeit eines Apothekers mit einer Lieferdienst-App zu bewerten. Und das warf die generelle Frage auf, wie mit Apothekenöffnungen an Sonn- und Feiertagen generell zu verfahren ist.
Ein Apotheker kooperierte mit einem Apothekenlieferservice. Der Lieferservice betrieb eine App, über die Verbraucher Produkte bestellen konnten, die bei der jeweiligen Apotheke abgeholt und noch am Tag der Bestellung ausgeliefert werden. Der Apotheker nutzte diesen Dienst auch an Sonn- und Feiertagen, doch ein Wettbewerbsverein sah darin ein Problem. Er forderte vom Apotheker gerichtlich eine Unterlassung und die Erstattung von Abmahnkosten, weil der Apotheker gegen das Ladenöffnungs- und das Feiertagsgesetz des Landes Nordrhein-Westfalen verstoße. Es gebe schließlich keine Vorschrift, die Apotheken die uneingeschränkte Befugnis verleihe, an Sonn- und Feiertagen ihre Dienstbereitschaft unabhängig von ihrer Notdiensteinteilung zu versehen.
Das Landgericht hat der Klage stattgegeben - die dagegen gerichtete Berufung des Beklagten blieb vor dem OLG erfolglos. Allerdings wurde wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache die Revision zum Bundesgerichtshof zugelassen. Hier bleibt es also spannend.
Hinweis: Die Richter haben erkannt, dass es zahlreiche andere Meinungen von Juristen zu diesem Problemkreis gibt und sowohl die Apothekenbetriebsordnung als auch die Ladenöffnungsgesetze der einzelnen Bundesländer hierzu keine abschließende Regelung für Apothekenöffnungen an Sonn- und Feiertage beinhalten.
Quelle: OLG Köln, Urt. v. 12.01.2024 - 6 U 65/23
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(aus: Ausgabe 04/2024)
Wer einen Schaden erleidet, hat Anspruch auf eine Ausgleichszahlung. Weil es jedoch naturgemäß sehr unterschiedliche Empfindungen geben kann, wann ein Schaden überhaupt auftritt und somit auch ersatzfähig ist, müssen Gerichte entscheiden, ab wann ein infrage stehender Anspruch eintritt. Der Bundesgerichtshof (BGH) wandte sich hier an den Europäischen Gerichtshof (EuGH), der den erlittenen Schaden durch eine Flugverspätung einschätzen musste.
Zwei Fluggäste hatten einen Flug von Düsseldorf nach Palma de Mallorca gebucht, für den schließlich eine Verspätung von mehr als drei Stunden angekündigt wurde. Daraufhin traten die beiden den Flug mit der gebuchten Maschine erst gar nicht an - der eine blieb gleich zu Hause, der andere buchte auf einen Flug um, der es ihm ermöglichte, mit einer geringeren Verspätung als den drei Stunden am Zielort einzutreffen. Nun wollte der BGH vom europäischen Kollegen wissen, wie sich die Rechtslage in Sachen Ausgleichszahlung verhält. Die Frage: Hatten die beiden überhaupt einen Schaden erlitten, den es zu ersetzen gibt?
Der EuGH sagt: Nein, haben sie nicht. Die Regelung verfolgt den Zweck, Passagiere verspäteter Flüge jenen Fluggästen gleichzusetzen, deren Flüge komplett ausfallen. Ein mehrstündiger Zeitverlust sei nach der ständigen Rechtsprechung des EuGH schließlich mit dem Ärgernis eines ausgefallenen Flugs vergleichbar. Wenn sich der Fluggast eines mit großer Verspätung angekommenen Flugs aber erst gar nicht zum Flughafen begibt oder sich gleich um einen Ersatz kümmert, der ihm den Zeitverlust verkürzt, hat er keinen Anspruch auf eine pauschale Ausgleichszahlung. Denn ein Schaden des Zeitverlusts könne unter diesen Umständen nicht festgestellt werden.
Hinweis: Hat ein Flugzeug eine Verspätung, spricht grundsätzlich viel dafür, dass der Fluggast eine Ausgleichszahlung erhalten kann. Ob und unter welchen Voraussetzungen das der Fall ist, weiß der Rechtsanwalt.
Quelle: EuGH, Urt. v. 25.01.2024 - C-474/22
zum Thema: | Sonstiges |
(aus: Ausgabe 04/2024)
Immer häufiger haben sich Gerichte mit schulinternen Angelegenheiten zu beschäftigen. Doch nicht alles, was subjektiv beklagenswert erscheint, ist es auch im rechtlichen Sinn. Denn dass Schulen ihre Schüler nach Verstößen sanktionieren dürfen, unterliegt einem gewissen Ermessungsspielraum. Dieser hat natürlich auch Grenzen - im Fall des Verwaltungsgerichts Berlin (VG) waren diese jedoch nicht berührt.
Ein Junge besuchte die 9. Klasse einer Oberschule in Berlin-Spandau. Nachdem der Schüler bereits mehrfach auffällig geworden war, schlug er im Dezember 2023 schließlich einem Mitschüler mit der flachen Hand ins Gesicht. Die Klassenkonferenz beschloss daraufhin, den Jungen von einer bevorstehenden Skifahrt nach Südtirol auszuschließen. Dagegen gingen der Schüler und seine sorgeberechtigte Mutter gerichtlich vor. Sie meinten, die Maßnahme sei unverhältnismäßig - außerdem diene eine Klassenfahrt gerade auch der Pflege der sozialen Kontakte, was bei der Entscheidung keine Berücksichtigung gefunden habe.
Das sah das VG allerdings anders und wies den Eilantrag zurück. Wer einem Mitschüler ins Gesicht schlage, dürfe durchaus von einer Klassenfahrt ausgeschlossen werden. Bei der Verhängung einer Ordnungsmaßnahme komme der Schule nämlich ein gewisser pädagogischer Beurteilungsspielraum zu, der nur einer begrenzten gerichtlichen Kontrolle unterliege. Und nach exakt diesem Maßstab war die Entscheidung gerichtlich auch nicht zu beanstanden.
Hinweis: Gegen den Beschluss kann noch Beschwerde beim Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg erhoben werden. Vieles spricht jedoch dafür, dass die Entscheidung richtig ist. Wer Gewalt anwendet, muss Konsequenzen befürchten.
Quelle: VG Berlin, Beschl. v. 24.01.2024 - 3 L 61.24
zum Thema: | Sonstiges |
(aus: Ausgabe 04/2024)
Ob Menschen, die im EU-Ausland wohnen, einen Anspruch auf einen Personalausweis aus ihrem EU-Heimatland haben, musste der Europäische Gerichtshof (EuGH) auf Anfrage eines rumänischen Gerichts prüfen.
Ein rumänischer Rechtsanwalt hatte seit 2014 seinen Wohnsitz in Frankreich und war beruflich sowohl in Rumänien als auch in Frankreich tätig. Dann beantragte er bei den rumänischen Behörden die Ausstellung eines Personalausweises, der zugleich ein Reisedokument darstellt. Dieser Antrag wurde von der zuständigen rumänischen Behörde allerdings mit der Begründung abgelehnt, dass er seinen Wohnsitz im Ausland habe und die dortige Wohnadresse nicht einfach zu überprüfen sei. Das zuständige rumänische Gericht fragte nun beim EuGH nach, ob die Entscheidung der rumänischen Behörde gegen Unionsrecht verstoßen habe.
Der EuGH urteilte eindeutig: Es verstößt gegen EU-Recht, wenn ein Mitgliedstaat einem seiner Staatsangehörigen die Ausstellung eines als Reisedokument geltenden Personalausweises zusätzlich zu einem Reisepass allein deshalb verweigert, weil er seinen Wohnsitz in einem anderen Mitgliedstaat hat. Dies würde sonst eine unzulässige Beschränkung der EU-Freizügigkeit darstellen und die Gleichbehandlung der in einem anderen Mitgliedstaat lebenden mit den im Inland wohnenden Staatsangehörigen unterlaufen. Denn wenn es in Rumänien lebenden Staatsbürgern ohne weiteres möglich ist, sowohl einen Reisepass als auch Personalausweis zu beantragen, muss dies Rumänen auch möglich sein, die im EU-Ausland wohnen.
Hinweis: Natürlich gilt dieses Urteil nur für EU-Bürger. Menschen aus Ländern außerhalb der EU können sich nicht auf dieses Urteil berufen.
Quelle: EuGH, Urt. v. 22.02.2024 - C-491/21
zum Thema: | Sonstiges |
(aus: Ausgabe 04/2024)
Kurzübersicht Ahls-Anwälte
Sozietät
Für die Sozietät sind sechs Rechtsanwälte tätig. Vier der Rechtsanwälte haben ihren Kanzleisitz in Steinheim, die übrigen in Warburg. Auf Anfrage beraten sämtliche Anwälte an allen Standorten. Mehr erfahren
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