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Zum Thema Arbeitsrecht
- Arbeitszeitbetrug: Vertragswidrige Vernachlässigung der Arbeitspflicht zieht Kündigung nach sich
- Beweislose Behauptung: Wer als Arbeitsgeber Leistungsverweigerung im Homeoffice beklagt, muss dies belegen können
- Bloßstellung, Erniedrigung, Demütigung: Unternehmensinterne Weiterleitung intimer Abbildungen von Kollegen kann teuer werden
- Darlegungs- und Beweislast: Wenn Kündigungsfrist und Arbeitsunfähigkeit zusammenfallen
- Verletztes Auskunftsverlangen: Bloßer Verstoß gegen DSGVO begründet noch keinen Entschädigungsanspruch
Wie wenig Arbeitsleistung ist ausreichend genug, um nicht gekündigt zu werden? Die Angestellten, die hier gegen ihre Kündigung vor das Arbeitsgericht Bremen (ArbG) zogen, waren sich offensichtlich keiner Schuld bewusst. Wohl gaben sie zu, zwar nicht gut "performt", dabei aber nicht wirklich ihren Arbeitgeber betrogen zu haben. Schützt ein solches Zugeständnis schlechter Leistung etwa vor Kündigung?
Den zwei Beschäftigten des Bürgertelefons warf ihr Arbeitgeber vor, in der Zeit von März bis Mai 2023 Telefonanrufe nur in besonders geringem Maß entgegengenommen zu haben. Der Arbeitgeber kündigte den beiden Beschäftigten fristlos wegen eines Arbeitszeitbetrugs. Gegen die Kündigung legten die beiden Arbeitnehmer eine Kündigungsschutzklage ein und beriefen sich auf eine Schlechtleistung: Sie hätten allenfalls unterdurchschnittliche Leistungen erbracht. Einen Arbeitszeitbetrug wollen sie nicht begangen haben.
Das sah das ArbG allerdings anders und hielt die fristlosen Kündigungen für wirksam. Das begründete das Gericht damit, dass die Beschäftigten ihren Telefondienst in einem Umfang geleistet hatten, der auf eine vorsätzliche vertragswidrige Vernachlässigung der Arbeitspflicht schließen ließ. Diese sei durch eine bloße Minderleistung nicht erklärbar. Das Gericht legte konkret dar, dass Telefonzeiten im Umfang von 60 % der dienstplanmäßigen Arbeitszeit an einem Tag veranschlagt gewesen seien. Die Beschäftigten hätten an den überprüften Tagen nur 30 % bis 35 % bzw. zwischen 16 % und 33 % der Zeit telefoniert.
Hinweis: Das ArbG räumte ein, dass die Auswertung zur Leistungs- und Verhaltenskontrolle von Beschäftigten untersagt ist. Hier jedoch hatte der Personalrat der Auswertung allerdings zuvor zugestimmt. Das Gericht entschied nicht darüber, ob die Daten rechtswidrig gewonnen waren oder nicht. Es berief sich insoweit auf die Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts, nach der Daten, die vorsätzlich vertragswidriges Verhalten des Arbeitnehmers belegen sollen, selbst dann verwertbar sind, wenn die Gewinnung der Daten nicht vollständig im Einklang mit den Vorgaben des Datenschutzrechts steht.
Quelle: ArbG Bremen, Urt. v. 14.12.2023 - 2 Ca 2206/23 und 2 Ca 2207/23
zum Thema: | Arbeitsrecht |
(aus: Ausgabe 03/2024)
Seit der Corona-Pandemie ist das Thema Homeoffice in aller Munde. Doch was passiert, wenn das Homeoffice zu spürbarem Leistungsabfall führt, so wie es viele Arbeitgeber bereits befürchtet hatten? Im Fall des Landesarbeitsgerichts Mecklenburg-Vorpommern (LAG) ist die Sache klar: Eine Behauptung muss nach wie vor zuerst bewiesen werden, bevor auf deren Basis Konsequenzen folgen.
Eine seit Ende 2021 in einer Pflegeeinrichtung beschäftigte Arbeitnehmerin sollte das Qualitätshandbuch und andere für das Pflegemanagement erforderliche Unterlagen überarbeiten. Laut Arbeitszeiterfassung verbrachte die Beschäftigte von insgesamt 720 Arbeitsstunden ganze 300 Stunden im Homeoffice. Im Anschluss erkrankte sie für einen längeren Zeitraum. Der Arbeitgeber kündigte ihr deshalb noch während der Probezeit. Für die letzten beiden Monate zahlte er der Mitarbeiterin nichts mehr und verlangte sogar die Rückzahlung von etwa 7.000 EUR brutto für die 300 Arbeitsstunden im Homeoffice. Er erklärte die Aufrechnung gegen die noch offenen Gehaltsansprüche. Seine Begründung: Der Mitarbeiterin stehe keine Vergütung für die Homeofficestunden zu. Schließlich habe sie hierzu keine objektivierbaren Nachweise vorgelegt. Die Arbeitnehmerin klage daraufhin das Geld ein.
Das LAG war der Auffassung, dass der Arbeitgeber die einbehaltene Vergütung nachzuzahlen und keinen Anspruch auf eine Rückzahlung hat. Die Arbeitnehmerin hatte während der Arbeit im Homeoffice zumindest teilweise gearbeitet. Das ergab sich aus diversen E-Mails, in denen sie überarbeitete Verfahrensanweisungen an ihre Kollegen geschickt hatte. Hinzu kam, dass der Arbeitgeber nach Ansicht des Gerichts nur pauschal in den Raum gestellt hatte, dass die Arbeitnehmerin im Homeoffice nicht gearbeitet habe - einen entsprechenden Beweis konnte er nicht erbringen.
Hinweis: Dass die Beschäftigte eventuell zu langsam gearbeitet hatte, spielte hier keine Rolle. Denn Arbeitnehmer sind grundsätzlich nur verpflichtet, unter angemessener Ausschöpfung ihrer Leistungsfähigkeit zu arbeiten.
Quelle: LAG Mecklenburg-Vorpommern, Urt. v. 28.09.2023 - 5 Sa 15/23
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(aus: Ausgabe 03/2024)
Mit Kollegen verhält es sich wie mit Nachbarn - man kann sie sich nicht aussuchen und ist doch fast täglich mit ihnen befasst. Doch Vorsicht vor unüberlegtem Handeln, vor allem, wenn es das Gegenüber am Schreibtisch in seiner Menschenwürde und den Persönlichkeitsrechten verletzt. Denn sonst kann einen das teuer zu stehen kommen, wie im Fall des Landesarbeitsgerichts Rheinland-Pfalz (LAG).
Ein kaufmännischer Angestellter teilte sich das Büro mit einer Kollegin. Nachdem es zu Streitigkeiten zwischen den beiden gekommen war, leitete die Arbeitnehmerin intime Fotos ihres Arbeitskollegen an eine andere Kollegin weiter - genauer gesagt Video-Screenshots mit erotischem oder teilweise pornografischem Inhalt. Die Bilder hatte die Beschäftigte über eine Facebook-Gruppe erhalten, in der sie und ihr Kollege Mitglieder waren. Der Arbeitnehmer wollte das verständlicherweise nicht hinnehmen, zog gegen seine Kollegin vor das Arbeitsgericht und verlangte Schadensersatz.
Das LAG sprach dem Arbeitnehmer einen Schadensersatzanspruch von 3.000 EUR zu. Durch das Weiterleiten intimer, erotischer oder sogar pornografischer Fotos an Kollegen oder Dritte ohne Zustimmung der abgebildeten Person wird deren Persönlichkeitsrecht verletzt. Das Gericht stellte klar, dass sich der Entschädigungsanspruch aus dem Grundrecht auf Menschenwürde und den Persönlichkeitsrechten ergebe. Das Gericht wies in seiner Entscheidung zudem darauf hin, dass ein hierauf gestützter Entschädigungsanspruch einen schwerwiegenden Eingriff in das allgemeine Persönlichkeitsrecht voraussetze. Es komme auch nicht darauf an, wann ein solcher gegeben sei und wann nicht, sondern vielmehr auf eine Gesamtbetrachtung im jeweiligen Einzelfall. Hier hielt das Gericht den Anspruch für gegeben und bestätigte vor allem den bloßstellenden, erniedrigenden und demütigenden Charakter der Übersendung der Fotos zu Lasten des Arbeitnehmers.
Hinweis: Ein derartiges Verhalten kann übrigens auch arbeitsrechtliche Konsequenzen haben. Der Arbeitgeber kann hier durchaus eine fristlose Kündigung in Betracht ziehen.
Quelle: LAG Rheinland-Pfalz, Urt. v. 08.08.2023 - 8 Sa 332/22
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(aus: Ausgabe 03/2024)
Das Bundesarbeitsgericht (BAG) hat bereits vor Längerem entschieden, dass das Zusammenfallen einer Kündigung mit der bescheinigten Arbeitsunfähigkeit ernsthafte Zweifel an der Arbeitsunfähigkeit begründet. Nun gibt es dazu einen neuen Fall, in dem der Arbeitnehmer bereits vor Zugang der Kündigung erkrankt war.
Ein Arbeitnehmer war als Helfer beschäftigt. Am 02.05.2022 legte er eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung bis zum 06.05.2022 vor. Mit Schreiben vom 02.05.2022, das dem Arbeitnehmer am 03.05.2022 zuging, kündigte der Arbeitgeber das Arbeitsverhältnis zum 31.05.2022. Der Arbeitnehmer legte daraufhin Folgebescheinigungen vom 06.05.2022 bis zum 31.05.2022 vor. Ab dem 01.06.2022 war der Arbeitnehmer wieder arbeitsfähig und nahm direkt eine neue Beschäftigung auf. Der Arbeitgeber verweigerte daraufhin die Entgeltfortzahlung mit der Begründung, der Beweiswert der vorgelegten Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen sei erschüttert. Der Arbeitnehmer erwiderte, die Arbeitsunfähigkeit habe bereits vor dem Zugang der Kündigung bestanden. Während das zunächst zuständige Landesarbeitsgericht (LAG) dem Arbeitnehmer Recht gab, sah es das BAG anders.
Das LAG habe zwar richtigerweise erkannt, dass der Beweiswert der ersten Krankschreibung nicht erschüttert ist, weil kein zeitlicher Zusammenhang zwischen dem Beginn der Arbeitsunfähigkeit und dem Zugang der Kündigung gegeben sei. Hinsichtlich der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen ab dem 06.05.2022 sei der Beweiswert dagegen erschüttert. Es bestünde nämlich gerade der zeitliche Zusammenhang - und zwar aufgrund der passgenauen Verlängerung der Arbeitsunfähigkeit bis zum Ende der Kündigungsfrist. Der Arbeitnehmer habe zudem unmittelbar nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses eine neue Beschäftigung aufgenommen.
Hinweis: Die Entscheidung des BAG hat zur Folge, dass der Arbeitnehmer nunmehr für die Zeit vom 07.05. bis zum 31.05.2022 die volle Darlegungs- und Beweislast für das Bestehen krankheitsbedingter Arbeitsunfähigkeit als Voraussetzung für den Entgeltfortzahlungsanspruch trägt. Der elektronische "gelbe Schein" reicht nicht mehr aus.
Quelle: BAG, Urt. v. 13.12.2023 - 5 AZR 137/23
zum Thema: | Arbeitsrecht |
(aus: Ausgabe 03/2024)
Arbeitnehmer haben nach Art. 15 Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO) ein Recht darauf, von ihrem Arbeitgeber zu erfahren, ob und, wenn ja, zu welchem Zweck und in welchem Umfang er Daten von ihnen verarbeitet. Erteilt der Arbeitgeber eine entsprechende Auskunft nicht, kann der Arbeitnehmer Schadensersatz fordern, wie im folgenden Fall vor dem Landesarbeitsgericht Düsseldorf (LAG).
Ein Arbeitnehmer war für einen Monat bis Ende 2016 bei einem Unternehmen beschäftigt. Etwa vier Jahre später forderte er von seinem ehemaligen Arbeitgeber eine Auskunft nach Art. 15 DSGVO hinsichtlich seiner personenbezogenen Daten. Die entsprechende Auskunft wurde ihm erteilt. Dann verlangte er gut zwei Jahre später im Oktober 2022 einen Antrag auf Auskunft sowie eine Datenkopie. Der Arbeitgeber ließ mehrere Fristen verstreichen und antwortete zunächst unvollständig. Erst nach mehreren weiteren Aufforderungen erteilte er eine vollständige Auskunft. Der Arbeitnehmer klagte und verlangte eine Geldentschädigung, die allerdings nicht niedriger als 2.000 EUR sein sollte. Sein Verlangen begründete er damit, dass sein Auskunftsverlangen mehrfach verletzt worden sei.
Das LAG wies die Klage zwar ab, stellte aber dennoch klar, dass der Arbeitgeber gegen die DSGVO verstoßen hatte. Das führte jedoch nicht dazu, dass der ehemalige Arbeitnehmer einen Anspruch auf eine Geldentschädigung nach Art. 82 Abs. 1 DSGVO habe. Die Richter meinten, dass ein bloßer Verstoß gegen die Vorschriften der DSGVO nicht ausreiche, um eine Geldentschädigung wegen eines immateriellen Schadens auszulösen.
Hinweis: Eine Entschädigung für einen immateriellen Schaden, zum Beispiel ein nicht erteiltes Auskunftsrecht, setzt voraus, dass die betroffenen Arbeitnehmer darlegen können, einen Schaden erlitten zu haben. Gelingt ihnen das, hat der Arbeitgeber in der Regel zu zahlen. Arbeitgeber sollten also stets geltend gemachte Ansprüche nach der DSGVO ernst nehmen.
Quelle: LAG Düsseldorf, Urt. v. 28.11.2023 - 3 Sa 285/23
zum Thema: | Arbeitsrecht |
(aus: Ausgabe 03/2024)
Zum Thema Erbrecht
- Anspruch von Nacherben: Wie wird der Streitwert einer Auskunftsklage ermittelt?
- Bargeldlose Zahlungszeiten: Barvermögen ist das, was man kurzfristig in Bargeld umwandeln oder stattdessen nutzen kann
- Mindestvoraussetzungen erfüllt: Eigenhändige Abfassung und Unterschrift machen aus Kneipenblock ein gültiges Testament
- Späteres Testament: Wenn die Verfügung von Todes wegen nur zum "vorletzten Willen" wird
- Stellung und Einfluss missbraucht: Testament zugunsten der Berufsbetreuerin eindeutig sittenwidrig
Rechtsstreitigkeiten im Erbrecht sind häufig teuer, weshalb die Frage nach der Höhe eines Streitwerts als Grundlage der Kostenbemessung von großer Bedeutung ist. In einem Rechtsstreit vor dem Oberlandesgericht Oldenburg ging es um den Streitwert einer Auskunftsklage des Nacherben gegen den Vorerben.
Der Erblasser hatte zusammen mit seiner Ehefrau ein notarielles Testament errichtet, in dem sich die Eheleute gegenseitig zu befreiten Vorerben und die drei Kinder zu Nacherben zu je 1/3 eingesetzt haben. Nach dem Tod des Erblassers nahm ein Sohn die Mutter auf Auskunft über die zum Nachlass gehörenden Erbschaftsgegenstände in Anspruch. Mit Beendigung des Rechtsstreits setzte das zuständige Landgericht (LG) auf Basis der Angaben in der Klageschrift den Streitwert auf 20.000 EUR fest. Gegen diese Wertfestsetzung wandte sich die Mutter mit der Begründung, dass der Streitwert einer Auskunftsklage mit 1/10 des Nachlasswerts zu bewerten und darüber hinaus auch die Erbquote des Klägers von 1/3 bezogen auf den Nachlass zu berücksichtigen sei. Dies führe zu einem Streitwert zwischen 5.450 EUR und 13.645 EUR. Das LG hat den Streitwert in der Folge auf 24.526 EUR festgesetzt und dies damit begründet, der Betrag entspreche 15 % des gesamten Nachlasswerts. Die hiergegen eingelegte Beschwerde der Mutter und Vorerbin war im Ergebnis erfolglos.
Im Rahmen einer Auskunftsklage des Nacherben gegen den Vorerben bemisst sich der Gebührenstreitwert nach dem wirtschaftlichen Interesse des Nacherben an der begehrten Auskunft. Dieser bestimmt sich in der Regel nach einem Bruchteil des Nachlasswerts zwischen 1/10 und 1/4 der Hauptforderung. Die Erbquote des Nacherben sei nicht zusätzlich zu berücksichtigen. Der Auskunftsanspruch dient dem berechtigten Interesse des Nacherben, Kenntnis über alle zur Erbschaft gehörende Gegenstände zu erhalten, um auch prüfen zu können, ob gegebenenfalls weitere Informations-, Kontroll- oder Sicherungsrechte bestehen. Diese Rechte können auch im Fall einer aus mehreren Nacherben bestehenden Erbengemeinschaft von jedem einzelnen Erben allein geltend gemacht werden, weshalb die Ansprüche im Regelfall den gesamten Nachlass umfassen. Daher sei die Bemessung des Streitwerts anhand eines Bruchteils von 15 % bezogen auf den gesamten Nachlass nicht zu beanstanden.
Hinweis: Bei einer Auskunftsklage eines Pflichtteilsberechtigten wird bezüglich des Streitwerts auf den Bruchteil des späteren Leistungsanspruchs abgestellt, weshalb die Bestimmung der Pflichtteilsquote dort maßgebliches Kriterium ist.
Quelle: OLG Oldenburg, Beschl. v. 22.01.2024 - 3 W 113/23
zum Thema: | Erbrecht |
(aus: Ausgabe 03/2024)
In einem Rechtsstreit vor dem Oberlandesgericht Oldenburg (OLG) stritten die Parteien um die Erfüllung eines Vermächtnisses. Die Kernfrage war hierbei, was in den heutigen Zeiten eigentlich unter dem Begriff "Barvermögen" zu verstehen sei. Das, was wir in den Hosen- und Handtaschen bereits mit uns herumtragen, oder auch das, was wir kurzfristig dahin verfrachten könnten? Lesen Sie hier die Antwort.
Der Erblasser hatte in einem notariellen Testament seine Kinder zu Erben eingesetzt, nachdem er bereits eine Immobilie im Wege der vorweggenommenen Erbfolge auf eine Tochter übertragen hatte. Zudem hatte der Erblasser die Erben mit einem Vermächtnis zugunsten der Tochter beschwert, dass bei Eintritt des Erbfalls das vorhandene Barvermögen zu 1/3 Anteil an die Tochter ausgezahlt werden solle. Zum Zeitpunkt des Erbfalls verfügte der Erblasser über ein Kontovermögen in Höhe von etwa 152.000 EUR, Genossenschaftsanteile im Wert von 3.000 EUR, ein Depotvermögen über etwa 34.000 EUR sowie ein Barvermögen in Höhe von etwa 2.000 EUR. Die Tochter war der Ansicht, dass unter dem Begriff "Barvermögen" alle liquiden Mittel zu verstehen seien - insbesondere sämtliche Guthaben bei Kreditinstituten, Wertpapiere und Bargeld. Die Erben hingegen waren der Ansicht, dass mit Barvermögen lediglich das vorhandene Bargeld gemeint sein könnte.
Nach Ansicht des OLG ist unter dem Begriff des Barvermögens in Zeiten des überwiegend bargeldlosen Zahlungsverkehrs das Bargeld im engeren Sinne genauso zu verstehen, wie es beispielsweise bei Banken sofort verfügbar ist. Der Begriff des Bargelds umfasse heutzutage das gesamte Geld, das sofort verfügbar ist - also auch über eine Kartenzahlung. Dies gelte aber nicht für Wertpapiere. Insofern hatte die Klägerin Anspruch auf eine anteilige Zahlung aus dem Kontovermögen sowie dem aufgefundenen Bargeld.
Hinweis: Das Gericht kam durch eine Auslegung des Testaments zu dem vorgenannten Ergebnis. Lang andauernde Rechtsstreitigkeiten aufgrund von Unwägbarkeiten bei der Auslegung von Verfügungen können dadurch vermieden werden, dass die Parteien einen Auslegungsvertrag abschließen.
Quelle: OLG Oldenburg, Urt. v. 20.12.2023 - 3 U 8/23
zum Thema: | Erbrecht |
(aus: Ausgabe 03/2024)
Ein Erblasser kann ein Testament durch eine eigenhändig geschriebene und unterschriebene Erklärung errichten. Allein der Umstand, dass sich das Testament auf einer ungewöhnlichen Unterlage befindet, lässt nicht automatisch den Schluss zu, dass es sich bei dem Schriftstück nicht um ein Testament handeln könne. Das hat das Oberlandesgericht Oldenburg (OLG) festgestellt.
Der Erblasser, der 2022 ledig und kinderlos verstarb, betrieb unter anderem eine Gastronomie und legte dort seiner Lebensgefährtin einen Brauereizettel vor, auf dem er überlicherweise Gastronomiebestellungen notierte. Dort hieß es nun aber, dass die Lebensgefährtin "alles kriegt". Darunter folgten Datum und Unterschrift des Erblassers. Die gesetzlichen Erben - Kinder der vorverstorbenen Schwester des Erblassers - waren nun der Ansicht, dass es sich nicht um ein Testament handele, da nicht erkennbar sei, dass der Zettel mit dem Willen, ein Testament zu errichten, verfasst worden sei. Außerdem hatten sie Zweifel daran, dass der Text von dem Erblasser selbst erstellt war. Das Nachlassgericht hatte zunächst noch die Erteilung eines Erbscheins zugunsten der Lebensgefährtin abgelehnt, da nicht sicher festgestellt werden könne, dass das Schriftstück mit Testierwillen errichtet worden sei.
Dieser Einschätzung hat sich das OLG nach Durchführung einer Beweisaufnahme nicht angeschlossen. Das Gericht kam zu der Einschätzung, dass die Mindestvoraussetzungen für ein wirksames Testament - die eigenhändige Abfassung und die Unterschrift - erfüllt waren. Hinweise darauf, dass das Schriftstück von einer anderen Person erstellt worden sei, konnte das OLG nicht feststellen. Darüber hinaus war nach Einschätzung des Gerichts das Schriftstück auch mit einem entsprechenden Testierwillen errichtet worden. Allein der Umstand, dass das formgültige Schriftstück auf einer ungewöhnlichen Unterlage errichtet wurde, bedeutet nicht zwingend, dass es sich lediglich um einen Entwurf gehandelt hat. So konnte eben auch durch eine Zeugenaussage belegt werden, dass der Erblasser auch bekundet hatte, dass seine Lebensgefährtin Erbin werden sollte. Der Erbschein zugunsten der Lebensgefährtin war zu erteilen.
Hinweis: Zum Zweck der besseren Auffindbarkeit im Erbfall kann auch ein eigenhändiges Testament in die amtliche Verwahrung gegeben werden. Zuständig für die Verwahrung sind die Amtsgerichte.
Quelle: OLG Oldenburg, Beschl. v. 20.12.2023 - 3 W 96/23
zum Thema: | Erbrecht |
(aus: Ausgabe 03/2024)
Ein Testament kann dadurch aufgehoben werden, dass ein Erblasser eine neue Verfügung von Todes wegen aufsetzt, die zu dem früheren Testament in einem Widerspruch steht. So war es auch der Fall bei einer Entscheidung des Oberlandesgerichts Düsseldorf (OLG).
Die ledige und kinderlose Erblasserin hatte insgesamt vier handschriftliche Testamente errichtet. Zwei Geschwister, eine Schwester und ein Bruder der Erblasserin, waren bereits verstorben. Eine Großnichte der Erblasserin war der Ansicht, aufgrund eines der Testamente zur Ersatzerbin nach der verstorbenen Schwester der Erblasserin benannt worden zu sein. Sie berief sich hierbei auf ein Testament aus dem Jahr 2009, in dem die Erblasserin verfügte, dass für den Fall, dass die Schwester versterben sollte, sie ihre Großnichte zur Nacherbin einsetzt. Im April 2016 errichtete die Erblasserin dann ein letztes Testament, in dem sie an der Erbeinsetzung ihrer damals noch lebenden Schwester zwar nichts änderte, eine Ersatzerbeneinsetzung aber nicht mehr vornahm.
Das OLG schloss sich der Ansicht des Nachlassgerichts an, dass durch diese letzte Errichtung des Testaments und durch das Vorversterben der Schwester die gesetzliche Erbfolge eingetreten sei. Steht das zeitlich nachfolgende Testament in einem Widerspruch zu einem früheren Testament, wird dieses frühere Testament aufgehoben. Ein solcher Widerspruch liegt nicht nur vor, wenn die Testamente sachlich miteinander nicht vereinbar sind - sich also gegenseitig ausschließen -, sondern auch dann, wenn die Anordnungen in ihrer Gesamtheit den späteren Absichten eines Erblassers entgegenstehen. Dies ist dann der Fall, wenn ein Erblasser mit dem späteren Testament seine Erbfolge insgesamt abschließend und umfassend regelt. Von diesem letztgenannten Fall ist das OLG ausgegangen. In dem Testament aus dem Jahr 2016 hatte die Erblasserin die Erbeinsetzung ihrer Schwester lediglich wiederholt, die Benennung eines Ersatzerben aber unterlassen. Hätte sie eine erneute Ersatzerbeneinsetzung vornehmen wollen, hätte es dieser neuen letztwilligen Verfügung nicht bedurft. Aus diesem Grund ging das Gericht davon aus, dass die Erblasserin ihre Erbfolge im Jahr 2016 grundsätzlich neu regeln wollte. Hierdurch ist aufgrund des Vorversterbens der Schwester und des Tods der Erblasserin die gesetzliche Erbfolge eingetreten. Der Erbscheinsantrag der Großnichte wurde zurückgewiesen.
Hinweis: In einem Verfahren auf Erteilung eines Erbscheins gehen verbleibende Zweifel zu Lasten desjenigen, der sich trotz Widerspruchs zwischen dem früheren und dem späteren Testament auf das frühere Testament beruft.
Quelle: OLG Düsseldorf, Beschl. v. 19.12.2023 - 3 Wx 189/23
zum Thema: | Erbrecht |
(aus: Ausgabe 03/2024)
Rechtsgeschäfte, die gegen die guten Sitten verstoßen, sind nach Wertung des Gesetzes nichtig. Dies kann auch im Fall eines notariell beurkundeten Testaments der Fall sein, wie das Oberlandesgericht Celle (OLG) in einer kürzlich ergangenen Entscheidung festgestellt hat.
Die 92 Jahre alte Erblasserin war schwer erkrankt und alleinstehend, als die einzige Tochter, die sich um die Erblasserin gekümmert hatte, im September 2022 verstarb. Die Erblasserin selbst befand sich zu diesem Zeitpunkt im Krankenhaus, auf dessen Anregung hin eine Betreuung für die Erblasserin eingerichtet wurde. Bereits zwei Wochen nach der Einrichtung der Betreuung beauftragte die Betreuerin einen Notar mit der Beurkundung eines notariellen Testaments, in dem sie von der Erblasserin zur alleinigen Erbin eingesetzt wurde. In dem Testament hieß es, die Erbeinsetzung der Betreuerin folge aus Dankbarkeit für die Pflege. Wenige Tage nach Verlassen des Krankenhauses - die Betreuerin hatte die Erblasserin kurzzeitig bei sich zu Hause aufgenommen - verstarb die alte Dame. Das Nachlassgericht verweigerte die Erteilung eines Erbscheins mit der Begründung, das Testament sei sittenwidrig.
Dieser Einschätzung schloss sich auch das OLG an. Die Umstände, unter denen es zu der Errichtung des Testaments gekommen war, führten nach Einschätzung des Gerichts zur Sittenwidrigkeit. Das OLG nahm hierbei an, dass die Berufsbetreuerin ihre gerichtlich verliehene Stellung und ihren Einfluss auf die alte, kranke und alleinstehende Erblasserin dazu benutzt hat, gezielt auf diese leicht beeinflussbare Person einzuwirken, um sie dazu zu bewegen, eine derartige Verfügung zu treffen.
Hinweis: Das OLG hat in dem Erbscheinsverfahren letztinstanzlich entschieden. In einem solchen Fall bleibt der Antragstellerin noch der Weg offen, eine sogenannte Erbenfeststellungsklage zu erheben.
Quelle: OLG Celle, Beschl. v. 11.01.2024 - 6 W 175/23
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(aus: Ausgabe 03/2024)
Zum Thema Familienrecht
- Entlastung der Mutter: Piloten wird trotz unflexibler Freizeitregelung durch Arbeitgeber vermehrter Kindesumgang zugemutet
- Lebenslanger Unterhalt: 14-jährige Ehedauer erzeugt auch im Alter nacheheliche Verantwortung
- Mehr als 1.600 EUR: Kindesunterhalt bei überdurchschnittlichen Einkommensverhältnissen
- Unwissenheit schützt nicht: Unterhaltsschulden können lange vollstreckt werden
- Volljährige Tochter: Kein Unterhalt, wenn zweite Ausbildung Resultat einer beruflichen Umorientierung ist
Während in Umgangsverfahren meist der eine Elternteil weniger Umgang der Kinder mit dem anderen verlangt, verklagte vor dem Oberlandesgericht Nürnberg (OLG) eine Mutter den Vater des gemeinsamen Kindes darauf, dass er sich mehr um seine Kinder kümmern solle. Das OLG musste nun sehen, ob und wie ein umfangreicherer Umgang im Interesse aller - vor allem aber naturgemäß dem der Kinder - möglich ist. Das Amtsgericht Fürth (AG) legte dabei vor.
Der Vater war Pilot mit einer Vollzeitstelle, die Mutter Flugbegleiterin mit einer 2/3-Stelle. Wegen der flexiblen Arbeitszeiten beider wurde im notariellen Scheidungsfolgenvertrag nur vermerkt, dass der Vater "nach Absprache" 1/3 der Betreuungszeiten übernehmen solle. Beide Elternhäuser waren in Fürth, die Kinder konnten vom Vater aus sogar morgens zur Schule gehen. Für die Mutter zeigte sich die Flexibilität jedoch zunehmend als unpraktikabel, da die Absprachen nicht mehr funktionieren würden - sie beantragte daher sechs Jahre später beim Familiengericht, dass die Kinder 14-tägig im Zeitraum von Donnerstag nach Schulschluss bis Montag vor Schulbeginn und zudem an zwei Tagen nach flexibler Absprache beim Vater sein sollen. Der Vater argumentierte damit, dass er im Gegensatz zur teilzeitarbeitenden Mutter in Vollzeit arbeite. Deshalb sei es ihr zuzumuten, dass sie sich voll und ganz nach seinen Bedürfnissen richte, die keine feste Regelung zuließen. Er könne lediglich einmal im Monat drei zusammenhängende Tage freinehmen. Mehr - zweimal im Monat fünf Tage am Stück - habe der Arbeitgeber abgelehnt. Eine Fremdbetreuung der Kinder während der Umgangszeiten sei in den Augen des Vaters widersinnig.
Das AG hatte den Umgang mit dem Vater daraufhin derart geregelt, dass dieser 14-tägig donnerstags nach Schulschluss bis Montag vor Schulbeginn stattfindet. In der anschließenden Anhörung vor dem OLG erzählten die Kinder, dass die Umgangswochenenden seit dem amtsgerichtlichen Beschluss auch so durchgeführt worden seien. Zwar sei ihr Vater dann nicht immer durchgehend zu Hause, dies sei jedoch unproblematisch. Sie hätten ein gutes Verhältnis zur Stiefmutter und zu deren Tochter.
Daher bestätigte das OLG die Entscheidung des AG und stellte darauf ab, dass Umgangskontakte nicht nur die Funktion haben, die Vater-Kind-Bindung zu fördern, sondern auch, die berufstätige Mutter zu entlasten und die tatsächliche Betreuung der Kinder in einem zu bestimmenden Umfang aufzuteilen. Auch die Mutter müsse ja gelegentlich Fremdbetreuung in Anspruch nehmen und diese organisieren. Dabei spielte auch eine Rolle, dass die Kinder sich im väterlichen Haushalt auch dann wohlfühlten, wenn dieser gar nicht zuhause war.
Hinweis: Wenn ein Gericht den Umgang regelt, muss der Beschluss auch vollstreckbar sein. Deshalb kann es flexible Lösungen nur geben, wenn die Eltern sich darüber einig sind.
Quelle: OLG Nürnberg, Beschl. v. 18.01.2024 - 9 UF 744/23
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(aus: Ausgabe 03/2024)
Eine Folge der Eheschließung und des ehelichen Zusammenlebens ist die begründete Mitverantwortung, die der leistungsfähige Ehepartner gegenüber dem Unterhaltsbedürftigen trägt. Dieser Mitverantwortung kann man sich im Sinne der nachehelichen Solidarität nicht entziehen. Daher erging es der bessergestellten Frau im folgenden Fall vor dem Oberlandesgericht Hamm (OLG) nicht anders als vielen Männern zuvor.
Als die Eheleute 2007 heirateten, waren beide schon über 50 Jahre alt. Sie war Beamtin, er selbständig und ab 2013 insolvent, so dass die Frau bei der Scheidung 2023 durch den Versorgungsausgleich einen Teil ihrer Pension an den Mann verlor. Zu diesem Zeitpunkt waren beide Eheleute schon in Pension bzw. in Rente. Nun begehrte der Mann zusätzlich einen lebenslangen Unterhalt von rund 1.300 EUR monatlich. Das Familiengericht Olpe lehnte diesen Antrag ab: Der Mann habe bereits durch den Versorgungsausgleich alle ehebedingten Nachteile ersetzt bekommen.
Anders sah dies das OLG - es sprach dem Mann den sogenannten Altersunterhalt nach § 1571 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) in der beantragten Höhe zu. Mit Erreichen des Rentenalters müsse er nicht mehr arbeiten, auch wenn das bei Selbständigen oft üblich sei. Auf seine konkrete gesundheitliche Situation, die streitig war, kam es daher nicht an. Auch eine Antwort auf die Frage, ob ehebedingte Nachteile entstanden seien, sei hier unwichtig, da der Altersunterhalt davon unabhängig sei. Zudem sei dem Mann auch nicht vorwerfbar, dass er keine eigene Altersvorsorge betrieben habe. Dieses Verhalten habe der Mann bereits vor der Ehe an den Tag gelegt - dieser Umstand war der Frau nach Aktenlage auch bekannt. Jedenfalls wurde von ihr nicht vorgetragen, dass der Mann ihr vorgegaukelt habe, eine Altersversorgung zu besitzen.
Eine Frage, die durchaus noch von Interesse war, bezog sich auf das Alter der beiden bei Eheschließung: War der § 1571 BGB womöglich deshalb nicht anwendbar, weil der Mann nicht im Laufe der Ehe alt geworden war, sondern erst mit über 50 geheiratet hatte? Nein - so das OLG -, auch das sei unerheblich und käme ebenso wenig infrage wie eine Befristung. Eine Befristung des Altersunterhalts ist auch ohne ehebedingte Nachteile nicht der gesetzliche Regelfall. Durch die Ehedauer von rund 14 Jahren und die Insolvenz des Mannes sei eine wirtschaftliche Abhängigkeit von der Frau entstanden, die eine nacheheliche Solidarität erzeugt habe. In seinem jetzigen Alter sei ihm eine Absenkung des gewohnten gehobenen Lebensstandards nicht zuzumuten, daher wurde der Anspruch auch nicht in der Höhe begrenzt.
Hinweis: Allerdings wendete das OLG die Regel an, dass mit Erreichen des Rentenalters auch vorhandenes Kapital zu verzehren ist - das waren hier 65.000 EUR aus einem Hausverkauf. Unstreitig war das Haus nämlich als "Altersvorsorge" gedacht gewesen.
Quelle: OLG Hamm. Beschl. v. 21.12.2023 - 4 UF 36/23
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(aus: Ausgabe 03/2024)
Die Frage nach Angemessenheit und Notwendigkeit stellt sich vor Gericht besonders oft, wenn es um Unterhaltsforderungen geht. Aus diesem Grund gibt es die Düsseldorfer Tabelle (DT), die seit 1962 als Leitlinie bei Unterhaltsfragen gilt. Seitdem wird sie stetig an die sich verändernden Lebensumstände angepasst, so auch hinsichtlich der Einkommensgruppen. Dieser Fall des Oberlandesgerichts München (OLG) zu einem sehr solventen, unterhaltspflichtigen Vater landete schließlich vor dem Bundesgerichtshof (BGH) und wird in einer Frage auch wieder ans OLG zurückgehen.
Die Mutter einer 2011 geborenen Tochter aus geschiedener Ehe hatte im Jahr 2019 einen monatlichen Kindesunterhalt von 4.500 EUR beantragt. Ihr Bedarf sei exklusiv: Die hohen Wohnkosten, der Reitsport des Kindes, Kleidung und Urlaube - all das hielt sie für angemessen. Der Vater hatte sich zudem als "unbegrenzt leistungsfähig" erklärt, sein offensichtlich über 11.000 EUR liegendes Nettoeinkommen wurde dabei aber nicht näher thematisiert. 2018 hatte der Vater den damaligen Höchstsatz der Düsseldorfer Tabelle von 160 % des Mindestunterhalts anerkannt. 2020 hatte der BGH dann in einem anderen Fall entschieden, dass man die Tabelle rechnerisch nach oben ergänzen könne, wenn der Unterhaltspflichtige über mehr als 5.500 EUR bereinigtes Nettoeinkommen verfüge. Daraufhin erkannte der Vater 2021 im Verfahren 272 % des Mindestunterhalts an - einen Betrag, den es in der DT 2021 zwar nicht gab, den man sich aber durch Fortschreibung selbst errechnen konnte. 2022 war die DT schließlich um Einkommensgruppen bis 11.000 EUR erweitert worden, was 200 % des Mindestunterhalts entsprach. Daraufhin nahm der Vater sein Anerkenntnis zurück und wollte "nur noch" den neuen "Höchstsatz" von 200 % zahlen. Die Reitsportkosten wolle er sowieso nicht mittragen, da die Mutter allein über das teure, gefährliche und zeitraubende Hobby entschieden habe, obwohl er gemeinsam mit der Mutter das Sorgerecht innehabe.
Das OLG hatte den Einwand des Vaters für zutreffend gehalten, dass er als Sorgeberechtigter hätte mitentscheiden müssen, ob das Kind ein gefährliches und teures Hobby betreiben dürfe. Deshalb legte das OLG ihm die Reitsportkosten nicht zusätzlich auf. Anders sah dies jedoch der BGH: Zwar könne man es so sehen, dass Entscheidungen wie ein teures Hobby bei gemeinsamem Sorgerecht gemeinsam getroffen werden müssen. Jedoch habe der Vater sich in seinen Schriftsätzen gar nicht gegen das Reiten als solches, sondern nur gegen die Intensität und die Kosten ausgesprochen. Das sei als stillschweigendes Zustimmen "dem Grunde nach" zu werten. Außerdem könne es sein, dass das Kind vom Reitsport so stark profitiere, dass die Verweigerung der Zustimmung rechtsmissbräuchlich sei. Im Ergebnis befand der BGH, dass die Kleidung, Wohnen und Urlaube mit den 272 % vom Mindestunterhalt bezahlt werden können, und gab das Verfahren zwecks Aufklärung beim Mehrbedarf "Reitsport" zurück ans OLG.
Hinweis: 272 % des Mindestunterhalts für ein 2011 geborenes Kind betragen im Jahr 2024 monatlich 1.629,40 EUR.
Quelle: BGH, Beschl. v. 20.09.2023 - XII ZB 177/22
zum Thema: | Familienrecht |
(aus: Ausgabe 03/2024)
Wer nicht rechtzeitig etwas sagt, der kriegt auch nichts! So zusammengefasst verhält es sich oftmals, wenn Ansprüche verjährt sind. Im Folgenden musste das Oberlandesgericht Bremen (OLG) klären, ob es bei titulierten Kindesunterhaltsansprüchen einen für eine solche Verwirkung erforderlichen Zeitmoment gibt. Sprich: Erledigen sich Ansprüche aus einem derartigen Titel, wenn der Gläubiger sie nicht einfordert - und wenn ja, ab wann?
Ein Vater war vom Familiengericht zu Kindesunterhalt für seinen minderjährigen Sohn verurteilt worden, zahlte aber nicht. Die Unterhaltsvorschusskasse (Jugendamt) ging daher in Vorleistung und holte sich das Geld beim Vater zurück. Doch zwischem dem, was die Unterhaltsvorschusskasse zahlte, und dem, was der Vater hätte zahlen müssen, klaffte eine monatliche Lücke - und summierte sich schließlich zu einem Schuldenberg von über 3.000 EUR. Dann wurde der Sohn volljährig und vollstreckte gegen seinen Vater.
Vor dem OLG ging es nun um die Frage, ob der Anspruch verwirkt worden war, da jahrelang niemand die Differenz explizit eingefordert hatte. Ein solcher Verwirkungseinwand setzt voraus, dass mindestens mehr als ein Jahr nichts verlangt wurde (Zeitmoment) und dass der Unterhaltsschuldner sich darauf einrichten durfte, dass der Unterhaltsgläubiger sein Recht nicht mehr durchsetzen werde (Umstandsmoment). Aus bloßer Untätigkeit des Gläubigers entstehen solche besonderen Umstände jedenfalls nicht. Der Vater trug dazu vor, er habe nach Einschaltung der Unterhaltsvorschusskasse geglaubt, er müsse nur den geringen Betrag an die Kasse zahlen, nicht mehr den höheren an den Sohn. Das mag er wirklich geglaubt haben - aber Unkenntnis schützt bekanntlich nicht vor Rechtsfolgen. Solange ein Titel "in der Welt" ist, gilt dieser, und eigene Gedanken dazu, ob dieser überhaupt noch gelten möge, sind fehl am Platz. Andere Umstände, aus denen er hätte schließen können, sein Sohn bzw. dessen Mutter verzichte auf die Differenz, gab es für das OLG in nachvollziehbarer Weise nicht.
Hinweis: Die Differenz zwischen tituliertem Unterhalt und der Leistung der Unterhaltsvorschusskasse liegt daran, dass die Unterhaltsvorschusskasse nur den Mindestunterhalt leistet und davon noch das gesamte Kindergeld abzieht.
Quelle: OLG Bremen, Beschl. v. 14.12.2023 - 5 UF 36/23
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(aus: Ausgabe 03/2024)
Eltern schulden ihren volljährigen Kindern Unterhalt während einer Ausbildung. Zu Konflikten kommt es, wenn das Kind mit seinem ersten Abschluss nicht zufrieden ist und für eine weitere Ausbildung weiterhin Unterhalt verlangt. Im Fall vor dem Oberlandesgericht Oldenburg (OLG) war daher zu prüfen, ob es sich um eine einheitliche Ausbildung handelt, für deren letztlich angestrebte Qualifikation der erste Abschluss ein sinnvoller Zwischenschritt war, oder um zwei voneinander unabhängige Ausbildungen.
Hier hatte die Tochter nach dem Realschulabschluss 2018 eine kaufmännische Ausbildung absolviert, mit deren Abschluss sie automatisch ihr Fachabitur im Bereich Wirtschaft erlangte. Im Anschluss verbrachte sie zur Erweiterung ihrer Sprachkenntnisse einen dreimonatigen Sprachurlaub in Spanien. Nach ihrer Rückkehr meldete sie sich im Oktober 2021 zunächst arbeitssuchend, woraufhin sie über das Jobcenter den Hinweis auf die Möglichkeit erhielt, mit ihrem Abschluss Mediendesign zu studieren. Zum 01.01.2022 begann sie dieses Studium. Da ihre Mutter zu wenig verdiente, um ihr Unterhalt zu leisten, verklagte sie ihren Vater.
Das begonnene Studium ist auch in den Augen des OLG eine Zweitausbildung und keine fachliche Ergänzung. Daher bestand kein Unterhaltsanspruch der Antragstellerin gegenüber ihren Eltern. Im Unterschied zu Abiturienten, bei denen Eltern immer mit einem Studienwunsch nach der Lehre rechnen müssen, sei dies nach dem Realschulabschluss so, dass die Eltern frühzeitig - schon vor der Ausbildung - vorgewarnt werden müssten, dass sie sich auf einen längeren Ausbildungsweg einstellen müssen. Zudem müsse ihnen dieser auch wirtschaftlich zumutbar sein. Dabei habe das Kind keine beliebige Studienauswahl, sondern müsse einen engen sachlichen Zusammenhang darlegen. Hier reiche es nicht aus, dass das kaufmännische Wissen und die Fremdsprachenkompetenz "nützlich" für das Studium oder den späteren Beruf als Mediendesignerin seien. Solche Kenntnisse seien grundsätzlich für jeden Beruf nützlich, was eine solche Ausbildung aber nicht zu einem unterhaltsrechtlichen Freibrief für jedwedes anschließende Studium mache. Auf die Gerichte wirkte der Ausbildungsweg der Tochter eher so, als ob sie sich nach der Arbeitslosigkeit und Beratung durch das Jobcenter umorientiert habe - diese durchaus legitime Entscheidung beinhalte jedoch kein Recht auf weiteren Unterhalt.
Hinweis: Für die Entscheidung wird bei der Abwägung eine Rolle gespielt haben, dass die Studentin Bafög bekam und der Unterhaltsanspruch daher nicht existentiell von Bedeutung war, während der Vater mit knapp 2.500 EUR netto kein wohlhabender Mann war. Der Tochter wäre anzuraten gewesen, ihr Vorhaben direkt nach dem Schulabschluss nachweislich mit dem Vater abzusprechen, damit dieser in der Zeit, in der er ihr wegen des Ausbildungsentgelts keinen Unterhalt zahlen musste, Rücklagen hätte bilden können.
Quelle: OLG Oldenburg, Beschl. v. 14.12.2023 - 3 UF 127/23
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(aus: Ausgabe 03/2024)
Zum Thema Mietrecht
- Freigewordenes WG-Zimmer: Berechtigtes Interesse, mit Untervermietung entfallenden Mietenanteil zu kompensieren
- Fühlbare Gebrauchsbeeinträchtigung: Defekte Dusche kann einen Nutzungsausfallschaden von mindestens 20 % verursachen
- Lebensmittelpunkt nicht erforderlich: BGH erkennt legitimes Interesse an Untervermietung einer Zweitwohnung
- Sonnenkraftwerke auf Mieterbalkonen: Kölner Gericht sieht mehr Vor- als Nachteile und zwingt Vermieter zur Duldung
- Unzulässige Vorratskündigung: Ignorierte baurechtliche Voraussetzung bringt Eigenbedarfskündigung zu Fall
Wieder einmal geht es um die Rechte von Bewohnern einer Wohngemeinschaft (WG). Die Frage, die hier das Landgericht Berlin (LG) zu beantworten hatte, war, ob Vermieter ihre Erlaubnis zur Untervermietung für ein freigewordenes Zimmer stets (erneut) erteilen müssen, bevor die WG dieses wieder vermieten darf.
Zwei Mieter einer Wohnung hatten einen Mietvertrag abgeschlossen. Mit einem Nachtrag zum Mietvertrag wurde vereinbart, dass ein dritter Mieter in den Mietvertrag miteintreten sollte. Dieser Nachzügler zog dann zweieinhalb Jahre später aus der Wohnung in ein Studentenheim. Nun wollten die beiden in der Wohnung verbliebenen Mieter von der Vermieterin die Erteilung einer Erlaubnis zur Untervermietung des freigewordenen Zimmers der Dreizimmerwohnung. Schließlich mussten sie ihr Recht einklagen.
Das LG bestätigte, dass im Fall des Auszugs eines von mehreren Mietern die in der Wohnung verbleibenden Mieter ein berechtigtes Interesse daran haben, den entfallenden Mietenanteil durch die Aufnahme eines zahlungspflichtigen Untermieters zu kompensieren. Völlig unerheblich war auch, dass der ausgezogene Mitmieter noch immer Vertragspartner war und jetzt eine neue Wohnung in einem Studentenwohnheim angemietet hatte.
Hinweis: Wer Mitglied einer WG wird, kann zwar jederzeit ausziehen, bleibt jedoch in der Regel Vertragspartner des bisherigen Vermieters und damit potentieller Schuldner. Das sollte bei Vertragsschluss bedacht werden.
Quelle: LG Berlin, Urt. v. 09.01.2024 - 67 S 184/23
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(aus: Ausgabe 03/2024)
Wenn in einer Wohnung die Dusche nicht funktioniert, stellt sich schnell die Frage, in welcher Höhe die Miete gemindert werden kann - selbst dann, wenn die Wohnung von Eigentümern selbst bewohnt wird und somit die zu zahlende Miete nur fiktiver Natur ist. Die Antwort, wie sehr ein solcher Missstand ersatzfähig ist, musste das Landgericht Saarbrücken (LG) beantworten.
Es ging um Arbeiten an der Heizungsanlage und an Wasserleitungen, die mit erheblichen Mängeln belastet waren. Im Rahmen eines Beweisverfahrens wurden diese Mängel durch einen Sachverständigen festgestellt. Nun verlangte die Hauseigentümerin einen Mängelbeseitigungsvorschuss und Ersatz für Aufwendungen für eine nicht gelieferte Duschkabine. Außerdem verlangte sie einen Aufschlag von 20 % für die zwischenzeitlich eingetretenen Kostensteigerungen und machte zudem einen Anspruch wegen Nutzungsausfalls geltend. In Ansatz gebracht wurden 20 % der Miete (rund 6.000 EUR). Insgesamt klagte die Eigentümerin knapp 20.000 EUR ein. Die Baufirma entgegnete jedoch, die Nutzbarkeit der Wohnung sei nicht eingeschränkt gewesen. Die Eigentümerin hätte die Dusche selbst fertigstellen können.
Vor dem LG gewann die Mieterin die Klage fast komplett. Der längere Entzug der Gebrauchsmöglichkeit von Wohnraum ist ersatzfähig, wenn der Nutzungsausfall zu einer fühlbaren Gebrauchsbeeinträchtigung geführt hat, wobei hierfür ein strenger Maßstab anzulegen ist. Der Nutzungsausfall einer Dusche aufgrund mangelhafter Arbeiten oder Nichtlieferung rechtfertigt einen Nutzungsausfallschaden von mindestens 20 % einer ortsüblichen Vergleichsmiete je Monat.
Hinweis: Mietminderungsbeträge genau zu berechnen, kann sehr schwierig sein. Im Zweifel sollten Betroffene den Anwalt des Vertrauens fragen.
Quelle: LG Saarbrücken, Urt. v. 20.10.2023 - 15 O 182/22
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(aus: Ausgabe 03/2024)
Gerichte haben bereits oft entschieden, dass Mieter ein durchaus berechtigtes Interesse an einer Untervermietung haben, das vom jeweiligen Vermieter zuvor verneint wurde. Die Frage in diesem Fall war, ob ein berechtigtes Interesse auch dann vorliegen kann, wenn der Mieter seinen Hauptwohnsitz in einer anderen Wohnung habe. Dass die Beantwortung nicht so einfach war, beweist die Tatsache, dass das letzte Wort hierzu beim Bundesgerichtshof (BGH) lag.
Ein Mieter war Geschäftsführer einer Firma, die nur zehn Gehminuten von der Mietwohnung entfernt war. Er nutzte diese Mietwohnung zum Ausruhen und für zwei bis drei Übernachtungen die Woche. Ursprünglich hatte er vollständig in der 72 m² großen Dreizimmerwohnung mit seiner Familie gelebt und war mit ihr nach der Geburt eines weiteren Kindes in eine Doppelhaushälfte gezogen, die von der Mietwohnung 17 km entfernt lag. Dann kam er auf folgende Idee: Er bat seine Vermieterin um die Erlaubnis, zwei Zimmer der Mietwohnung ohne zeitliche Begrenzung an zwei namentlich genannte Personen unterzuvermieten. Er erhielt zunächst eine befristete Erlaubnis, später lehnte die Vermieterin die Untervermietung jedoch gänzlich ab. Deshalb klagte der Mann nun auf Zustimmung zur unbefristeten Untervermietung der Räume, die er selbst lediglich aus beruflichen Gründen nutzte.
Die Klage hat er letztendlich vor dem BGH gewonnen. Denn dieser urteilte, dass es nicht erforderlich sei, dass die Wohnung auch nach der Untervermietung Lebensmittelpunkt des Mieters bleibt. Der Mieter kann vom Vermieter die Erlaubnis verlangen, einen Teil des Wohnraums einem Dritten zum Gebrauch zu überlassen, wenn für ihn nach Abschluss des Mietvertrags ein berechtigtes Interesse hieran entsteht. Und genau das war für den BGH hier erkennbar.
Hinweis: Also ist auch eine Untervermietung bei einer aus beruflichen Gründen genutzten Wohnung möglich. Mieter sollten allerdings stets bedenken, dass sie zunächst die Zustimmung zur Untervermietung einzuholen haben.
Quelle: BGH, Urt. v. 27.09.2023 - VIII ZR 88/22
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(aus: Ausgabe 03/2024)
Zugegeben: Schön anzusehen sind sie nicht, diese Balkonkraftwerke. Doch schön praktisch sind sie - und vor allem können sie Bewohnern schön viel Geld sparen. Ob aber Mieter einen Anspruch darauf haben, diese aus Solarpaneelen bestehenden Konstruktionen auf ihrem Balkon anbringen zu dürfen, musste das Amtsgericht Köln (AG) entscheiden.
Hier hatten Mieter ursprünglich die Erteilung der Genehmigung für den Aufbau einer Solaranlage mit an der Außenseite des Balkons der Mietwohnung angebrachten Solarmodulen gefordert. Hilfsweise verlangten sie die Zustimmung zu einer auf dem Boden des Balkons aufgestellten Solaranlage. Als die Vermieterin sich weigerte, klagten die Mieter.
Das AG war der Auffassung, dass den Mietern durchaus ein Anspruch auf Zustimmung zur Aufstellung einer Solaranlage auf dem Balkon zusteht. Grundsätzlich habe ein Mieter zwar keinen Anspruch darauf, dass der Vermieter ihm gestattet, selbst bauliche Veränderungen an der Wohnung mit dem Ziel einer Modernisierung vorzunehmen. Denn die Erteilung einer derartigen Erlaubnis stehe vielmehr im Ermessen des Vermieters. Dieser darf sein Ermessen jedoch nicht missbräuchlich ausüben. Hier war zugunsten der Mieter zu berücksichtigen, dass eine Solaranlage Kosten spart, eine derartige Energieerzeugung den Verbrauch fossiler Brennstoffe mindert und damit letztendlich dem Gemeinwohl dient. Insbesondere war eine Substanzbeeinträchtigung der Mietsache ausgeschlossen. Deshalb musste die Anlage von der Vermieterin geduldet werden.
Hinweis: Jedes Balkonkraftwerk kann einen Beitrag für saubere Energie leisten. Aber nicht alles muss der Vermieter dulden. Hier ist eine gründliche Abwägung geboten.
Quelle: AG Köln, Urt. v. 26.09.2023 - 222 C 150/23
zum Thema: | Mietrecht |
(aus: Ausgabe 03/2024)
Wenn ein Vermieter selbst in seine Mietwohnung einziehen möchte, spricht er häufig eine Eigenbedarfskündigung aus. Da jedoch mit Rechten gleichsam Pflichten einhergehen, sollten kündigende Eigentümer auch gut vorbereitet sein, sobald sie eine derartige Kündigung aussprechen. Denn Gerichte wie das Amtsgericht Hamburg (AG) kennen bei drohendem Verlust des Wohnraums keinerlei Nachsicht, wenn die rechtlichen Voraussetzungen auf wackligen Füßen stehen.
Das Mietverhältnis einer Mieterin wurde wegen Eigenbedarfs gekündigt. Einer der Vermieter wollte das gesamte Haus mit den drei dort vorhandenen Wohnungen künftig mit seiner Familie - mit seiner Frau und den drei Kindern - als Einfamilienhaus nutzen. Dafür sollten die Wohnungseingangstüren entfernt und die Badezimmertüren wieder eingesetzt werden, so dass letztendlich der ursprüngliche Zustand des Gebäudes wiederhergestellt werden würde, das einst als Einfamilienhaus konstruiert worden war. Eine Baugenehmigung wurde nicht beantragt, da diese laut Meinung des Eigentümers auch nicht erforderlich gewesen sei. Schließlich bedürfe es ja keiner statischen Eingriffe. Und so erhob der Vermieter eine Räumungsklage. Doch die Mieterin widersprach der Kündigung und verlangte die Fortsetzung des Mietverhältnisses auf unbestimmte Zeit.
Das AG war auf der Seite der Mieterin. Eine Baugenehmigung wäre nämlich durchaus erforderlich gewesen. Da diese noch nicht einmal beantragt worden war, handelte es sich demnach auch um eine unzulässige Vorratskündigung. Zum Zeitpunkt der Kündigungserklärung war noch nicht einmal beabsichtigt gewesen, die Baugenehmigung einzuholen. Ein Vermieter darf jedoch erst dann kündigen, wenn seine Planung ein Stadium erreicht hat, in dem beurteilt werden kann, ob die Verwirklichung des Plans eine Kündigung rechtfertigt.
Hinweis: Der Ausspruch einer Eigenbedarfskündigung heißt noch lange nicht, dass Mieter das Mietobjekt räumen müssen. Zieht der Mieter nicht aus, hat der Vermieter zunächst eine Räumungsklage zu erheben. Und ob er die gewinnt, entscheidet schließlich das Gericht.
Quelle: AG Hamburg, Urt. v. 26.10.2023 - 49 C 294/22
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(aus: Ausgabe 03/2024)
Zum Thema Sonstiges
- Abhebungsgebühr und Zinsen: Bei Entschädigungsansprüchen der Bahn gegenüber darf man auch kleinlich sein
- Bilder im Internet: Suchmaschine haftet nur bei klarer Rechtslage
- Handtuchplage am Pool: Ständig reservierte Liegen können durchaus einen berechtigten Reisemangel darstellen
- Hessisches Justizkostengesetz: Sonderrecht befreit evangelische Kirche von Gerichtsgebühren
- Trotz nachbarlichem Einverständnis: Fenster in Brandwänden müssen wieder verschlossen werden
Kleinvieh macht bekanntlich auch Mist. Und wenn man bedenkt, wie oft die Bahn, um die es hier geht, zu spät kommt, können auch Kleingeldbeträge in ihrer Summe ins Gewicht fallen. Vor dem Amtsgericht Münster konnte ein Fahrgast, der auf ein Taxi zurückgreifen musste, seine Entschädigungsansprüche bis auf den dafür angefallenen Cent genau durchsetzen.
Ein Mann wollte mit dem Zug fahren, der allerdings Verspätung hatte. Er verlangte ursprünglich Schadensersatz sowie eine Entschädigung in Höhe von 73,09 EUR und klagte das Geld ein. Daraufhin wurden von der Bahn 66,10 EUR für die entstandenen Taxikosten bezahlt. Der Mann verlangte jedoch auch die Abhebegebühr in Höhe von 5,98 EUR und die Zinsen zurück, da er Geld für das Taxi abheben musste.
Das Geld erhielt er tatsächlich. Die Abhebegebühr konnte der Mann nach § 11 Abs. 2 Eisenbahn-Verkehrsordnung (EVO) als erforderliche Aufwendung wegen der Verspätung verlangen. Die EVO ist nach Ansicht des Richters auch neben der europäischen Fahrgastrechteverordnung anwendbar. Das würde sich aus § 11 Abs. 1 Satz 1 EVO ergeben.
Hinweis: Wer gegen die Bahn vorgehen will, hat häufig gute Karten. Ob es sich im Einzelfall lohnt, wegen 6,99 EUR einen Rechtsstreit fortzusetzen, mag jeder für sich selbst entscheiden.
Quelle: AG Münster, Urt. v. 28.09.2023 - 96 C 1400/23
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(aus: Ausgabe 03/2024)
Wer eine Suchmaschine auffordert, Inhalte zu löschen, muss schon angeben, wo diese zu finden sind. Denn sonst wird es mehr als schwer, seine - womöglich sogar berechtigten - Ansprüche durchzusetzen. Ebendies war im Folgenden der Fall, wo eine Löschaufforderung so unklar definiert war, dass dem Landgericht Köln (LG) nur ein Weg blieb.
Ein Schweizer Unternehmen bot Investitionen im Marktsegment von Cannabispflanzen an. In den Ergebnissen einer Suchmaschine wurden zwei unangemessene Bilder des Verwaltungsratspräsidenten und eines Landwirts sowie ein Artikel mit dem Titel "Totalverlustrisiko" angezeigt, die sich inhaltlich alle auf das Unternehmen bezogen. Das Unternehmen, das auch den deutschen Markt bedient, forderte die Suchmaschine auf, die entsprechenden Suchergebnisse zu löschen. Doch die Betreiberin der Suchmaschine teilte mit, dass sie die Bilder nicht finden könne, und bat um konkretere Angaben, wo sich die zu löschenden Inhalte befänden. Das Schweizer Unternehmen reagierte darauf nicht, sondern klagte.
Laut LG kommt zwar grundsätzlich eine Haftung der Betreiberin der Suchmaschine in Betracht. Eine derartige Meldung muss aber ausreichende Angaben enthalten, um es Suchmaschinenbetreibern zu ermöglichen, sich ohne eingehende rechtliche Prüfung davon zu überzeugen, dass die Wiedergabe rechtswidrig ist und eine etwaige Löschung des betreffenden Inhalts mit der Freiheit der Meinungsäußerung vereinbar wäre. Das war hier nicht der Fall - deshalb konnte das Unternehmen auch nicht die Löschung verlangen.
Hinweis: Immer mehr Geschädigte wenden sich wegen irregulärer Einträge gegen Suchmaschinen. Das ist auch ihr gutes Recht und wird durch die Rechtsprechung gedeckt. Im Zweifel hilft ein Rechtsanwalt des Vertrauens weiter.
Quelle: LG Köln, Urt. v. 26.10.2023 - 14 O 285/23
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(aus: Ausgabe 03/2024)
Bei dem folgenden Klassiker handelt es sich quasi um den Nachbarschaftsstreit im Urlaub: die stundenlang per Handtuch reservierte Liege. Diese Form der Auseinandersetzung hat es nun vom Hotelpool bis zum Amtsgericht Hannover (AG) geschafft. Das AG musste beurteilen, ob und wann wegen dieses Markierungsverhaltens urlaubender Sonnenanbeter ein Mangel vorliegt, der entsprechend vergolten werden kann.
Ein Mann hatte auf Rhodos für sich und seine Familie eine Pauschalreise zu einem Wert von über 5.000 EUR gebucht. Das Hotel verfügte über mehrere Swimmingpools und etwa 500 Poolliegen. Es hatte zudem Verhaltensregeln vorgegeben, wonach die Liegen nicht mehr als 30 Minuten ohne Nutzung reserviert werden dürfen. Doch an diese Vorgabe hielten sich die wenigsten Gäste. Der Mann rügte daher mehrfach das Verhalten gegenüber der Hotelleitung, die jedoch nicht gegen die vorgegebenen Verstöße gegen die Verhaltensregeln vorging. Schließlich forderte er einen Teil des Reisepreises in Höhe von knapp 800 EUR zurück. Der Reiseveranstalter war naturgemäß der Auffassung, dass es sich hierbei jedoch nicht um einen Reisemangel handeln würde. Schließlich hätten sich der Mann und seine Familie auch nicht an die Regeln halten müssen und Liegen durch Handtücher reservieren können.
Das AG sprach dem Mann einen Anspruch auf Zahlung von 322,77 EUR zu. Eine Pauschalreise ist dann mangelhaft, wenn der Reiseveranstalter in einer Hotelanlage entweder nur wenige Poolliegen zur Verfügung stellt oder aber nicht einschreitet, wenn andere Reisegäste diese etwa mittels eines Handtuchs längere Zeit reservieren, ohne sie tatsächlich zu nutzen. Zwar ist ein Reiseveranstalter nicht verpflichtet, jedem Hotelgast eine Liege zur Verfügung zu stellen. Dennoch muss die Anzahl der Liegen in einem angemessenen Verhältnis zur Hotelauslastung und damit zur Anzahl der Hotelgäste stehen. Gibt es allerdings zu wenig Liegen, so dass diese für den Reisenden durch das Verhalten anderer wie hier faktisch nicht nutzbar sind, ist der Reiseveranstalter zum Einschreiten verpflichtet. Das Gericht hat insoweit eine Reisepreisminderung von 15 % des Tagesreisepreises der ab der erstmaligen Rüge des Klägers betroffenen Tage angenommen.
Hinweis: Wichtig bei Reisemängeln ist stets, dass diese vor Ort gerügt und die entsprechenden Beweise gesichert werden.
Quelle: AG Hannover, Urt. v. 20.12.2023 - 553 C 5141/23
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(aus: Ausgabe 03/2024)
Dass die finanziellen Sonderrechte der Kirchen größer sind als gedacht, zeigt der Fall des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main (OLG). Aber fair muss fair bleiben - die Höhe der Summe, um die es bei einem Rechtstreit geht, sollte nicht dafür entscheidend sein, Unrecht mit einem Augenzwinkern hinnehmen zu müssen.
Ein hessischer evangelischer Regionalverband hatte vor Gericht eine mietrechtliche Streitigkeit geführt und dafür eine Gerichtskostenrechnung in Höhe von 140 EUR erhalten. Dagegen ging der Verband gerichtlich vor und meinte, keine Gerichtsgebühren zahlen zu müssen: Eine zum evangelischen Kirchenapparat zu zählende Stelle sei von der Entrichtung von Gerichtsgebühren schließlich befreit.
Und durchaus bestätigte das OLG, dass Art. 22 Satz 2 des Vertrags der evangelischen Landeskirchen in Hessen mit dem Land Hessen auf das Hessische Justizkostengesetz aus dem Jahr 1958 verweist. Die betreffende Regelung aus dem Jahr 1958 sei zwar zwischenzeitlich nicht mehr in Kraft - der besagte Artikel des Vertrags nimmt jedoch weiterhin auf diese Vorschrift wirksam Bezug. Aus diesem Grund musste der Verband die Gerichtskostenrechnung nicht bezahlen.
Hinweis: Die Finanzierung der Kirchen ist schon seit vielen Jahren ein Streitpunkt. Sie ist historisch gewachsen, aber nicht unabänderlich.
Quelle: OLG Frankfurt am Main, Beschl. v. 05.01.2024 - 26 Sch 4/23
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(aus: Ausgabe 03/2024)
Dass nicht jede Umbaumaßnahme lediglich vom Wohlwollen des Nachbarn abhängt, zeigt dieser Fall des Verwaltungsgerichts Mainz (VG). Denn hier hatte die Bauordnungsbehörde den berechtigten Einwand bei einer Wand - und zwar sicherheitstechnisch. Dass sie hierbei ein wenig trödelte, spielte für den Ausgang des Ganzen keine wesentliche Rolle.
In der Brandwand eines Wohngebäudes, das auf der Grenze zum Nachbargrundstück stand, wurde im Jahr 2009 ein Fenster eingesetzt, einige Jahre später noch ein zweites. Der Nachbar war damit auch durchaus einverstanden, die Bauordnungsbehörde jedoch nicht. Sie gab den Eigentümern Jahre später auf, die Fenster zu beseitigen, und später im Widerspruchsverfahren obendrein, einen hochfeuerhemmenden Abschluss der Brandwand zu gewährleisten. Gegen den entsprechenden Bescheid klagten die Eigentümer - dies jedoch vergeblich.
Das VG urteilte, dass Öffnungen in Brandwänden unzulässig und deshalb auf Aufforderung der Bauaufsichtsbehörde auch dann zu verschließen seien, wenn der angrenzende Nachbar sich mit diesen einverstanden erklärt hat und die Behörde erst nach längerer Zeit gegen den baurechtswidrigen Zustand vorgeht.
Hinweis: Vor Umbaumaßnahmen sollte stets genau geprüft werden, was bauordnungsrechtlich und bauplanungsrechtlich zulässig ist.
Quelle: VG Mainz, Urt. v. 06.12.2023 - 3 K 39/23.MZ
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(aus: Ausgabe 03/2024)
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